Cicero und Panaitios
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Man kann das <honestum> also nicht sehen, trotzdem wird von
seiner «Gestalt» und seinem «Gesicht» gesprochen. Der Ausweg,
Cicero hier einen logischen Fehler anzulasten, der ihm beim Aus-
malen des Zitates durch «Gesicht» und «Gestalt» unterlaufen sei,
ist allzu einfach. Das Zitat dürfte so schon von Panaitios aus Plato
umgeformt sein (vgl. Anm. 7 in ds. Kap.) Allerdings wird man <vides>
als von der geistigen Schau gesagt auffassen können; trotzdem
bleibt der Anstoß wegen der Häufung der Ausdrücke der Sinnen-
fälligkeit, die gegenüber der Formulierung bei Plato dazugekommen
sind: <forma> und <facies>.
Es ist besser diese Widersprüchlichkeit, die schon bei Panaitios
bestanden haben dürfte, zunächst stehen zu lassen. Eine Lösung
dürfte sich nämlich nicht im philosophischen Bereich, sondern im
redaktionellen finden lassen. Es könnte hier schon ein Hinweis auf
die spätere Behandlung des <πρέπον> zu finden sein, in dem das <καλόν>
wirklich Gestalt gewinnt und sichtbar wird.
Nachdem wir wahrscheinlich gemacht haben, daß schon in diesen
einleitenden Gedanken auf die hervorragende Rolle abgehoben ist,
die das <πρέπον> in der ganzen Schrift des Panaitios spielt, soll zu-
nächst diese Einleitung noch unter einer anderen Fragestellung, nämlich
der nach der in der Darlegung verwendeten Methode untersucht
werden.
Hält man den Anfang der Einführung (§11) mit ihrem Ende (§ 15)
zusammen, so zeigt sich, daß am Anfang die empirische Beobachtung
steht (über den Selbsterhaltungstrieb aller Lebewesen), daß am
Ende aber von dem «Ehrenhaften», - wie es bei Cicero heißt, bei
Panaitios wohl καλόν - die Rede ist. Der empirischen* Beobachtung
des Anfangs steht am Ende das Abstraktum gegenüber, ja das
<honestum> wird durch das Platozitat, wie wir festgestellt haben,
fast in den Rang einer Idee erhoben.
Außerdem sind der Selbsterhaltungstrieb und der Trieb, die
Jungen zu schützen, gegenüber dem weitentfalteten menschlichen
9 Μ. Pohlenz, τδ πρέπον, S. 78-80, weist darauf hin, daß Diogenes von Babylon
bei seiner Untersuchung der Musik als Erziehungsmittel (SVF III,221ff.) einen
empirischen Nachweis der Verwendung der Musik bei den verschiedensten
Völkern führte. Für Krates von Pergamon ist bei der Bewertung eines Gedichtes
Grundlage aller theoretischen Betrachtungen die auf der sinnlichen Wahr-
nehmung beruhende Theorie (Philodemos über die Gedichte, 5. Buch, ed. Ch.
Jensen, S. 154, Z. 7), vgl. auch Anm. 13 in ds. Kap.
Bei beiden Philosophen hat Panaitios gehört; er verwendet auch sonst oft die
Empirie (vgl. Μ. Pohlenz, Stoa, S. 197).
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Man kann das <honestum> also nicht sehen, trotzdem wird von
seiner «Gestalt» und seinem «Gesicht» gesprochen. Der Ausweg,
Cicero hier einen logischen Fehler anzulasten, der ihm beim Aus-
malen des Zitates durch «Gesicht» und «Gestalt» unterlaufen sei,
ist allzu einfach. Das Zitat dürfte so schon von Panaitios aus Plato
umgeformt sein (vgl. Anm. 7 in ds. Kap.) Allerdings wird man <vides>
als von der geistigen Schau gesagt auffassen können; trotzdem
bleibt der Anstoß wegen der Häufung der Ausdrücke der Sinnen-
fälligkeit, die gegenüber der Formulierung bei Plato dazugekommen
sind: <forma> und <facies>.
Es ist besser diese Widersprüchlichkeit, die schon bei Panaitios
bestanden haben dürfte, zunächst stehen zu lassen. Eine Lösung
dürfte sich nämlich nicht im philosophischen Bereich, sondern im
redaktionellen finden lassen. Es könnte hier schon ein Hinweis auf
die spätere Behandlung des <πρέπον> zu finden sein, in dem das <καλόν>
wirklich Gestalt gewinnt und sichtbar wird.
Nachdem wir wahrscheinlich gemacht haben, daß schon in diesen
einleitenden Gedanken auf die hervorragende Rolle abgehoben ist,
die das <πρέπον> in der ganzen Schrift des Panaitios spielt, soll zu-
nächst diese Einleitung noch unter einer anderen Fragestellung, nämlich
der nach der in der Darlegung verwendeten Methode untersucht
werden.
Hält man den Anfang der Einführung (§11) mit ihrem Ende (§ 15)
zusammen, so zeigt sich, daß am Anfang die empirische Beobachtung
steht (über den Selbsterhaltungstrieb aller Lebewesen), daß am
Ende aber von dem «Ehrenhaften», - wie es bei Cicero heißt, bei
Panaitios wohl καλόν - die Rede ist. Der empirischen* Beobachtung
des Anfangs steht am Ende das Abstraktum gegenüber, ja das
<honestum> wird durch das Platozitat, wie wir festgestellt haben,
fast in den Rang einer Idee erhoben.
Außerdem sind der Selbsterhaltungstrieb und der Trieb, die
Jungen zu schützen, gegenüber dem weitentfalteten menschlichen
9 Μ. Pohlenz, τδ πρέπον, S. 78-80, weist darauf hin, daß Diogenes von Babylon
bei seiner Untersuchung der Musik als Erziehungsmittel (SVF III,221ff.) einen
empirischen Nachweis der Verwendung der Musik bei den verschiedensten
Völkern führte. Für Krates von Pergamon ist bei der Bewertung eines Gedichtes
Grundlage aller theoretischen Betrachtungen die auf der sinnlichen Wahr-
nehmung beruhende Theorie (Philodemos über die Gedichte, 5. Buch, ed. Ch.
Jensen, S. 154, Z. 7), vgl. auch Anm. 13 in ds. Kap.
Bei beiden Philosophen hat Panaitios gehört; er verwendet auch sonst oft die
Empirie (vgl. Μ. Pohlenz, Stoa, S. 197).