Metadaten

Gärtner, Hans Armin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1974, 5. Abhandlung): Cicero und Panaitios: Beobachtungen zu Ciceros "De officiis" ; vorgel. am 12. Jan. 1974 v. Viktor Pöschl — Heidelberg: Winter, 1974

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45448#0032
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
30

Hans Armin Gärtner

Wie wir sahen, war Cicero überraschenderweise von der Bespre-
chung eines Teiles der <honestas> zur Bestimmung des Verhältnisses
von Gesamthonestas und <decorum> übergegangen. Dabei war vor-
ausgesetzt, daß sich das <decorum> in allen Bereichen der <honestas>
findet. Das wird jetzt von Cicero nachgetragen. In den Bereichen der
drei anderen Tugenden wird mithilfe der allgemeinen Erfahrung -
empirisch - nachgewiesen, daß es dort auch das <decorum> gibt:
<nam et ratione ... sic indecora>. Diese Sätze sind in ihrer Art
empirisch. In Ciceros Gedankenzusammenhang stellen sie aber, wie
das <itaque>22 zeigt, die Folge aus der Behauptung dar, das <decorum>
sei mit dem <honestum> immer verbunden. Sie sollen also jetzt in
einem deduktiven Zusammenhang verstanden werden.
Mit <quare> (§ 95) wird dann weiter in Ciceros Darlegungen aus
diesen empirischen Beobachtungen der Schluß gezogen: «Deshalb
gehört wirklich23 zur gesamten Ehrenhaftigkeit das, was ich <decorum>
nenne, und es gehört so dazu, daß man es nicht auf eine recht ver-
borgene Weise erkennt, sondern daß es deutlich ist.» Dann wird das
Gesamtehrenhafte noch einmal24 von seinen Teilen her gesehen:
«Es gibt nämlich etwas, und das erkennt man bei jeder Tugend, das
sich ziemt, was mehr durch das Denken von der Tugend getrennt
werden kann als in Wirklichkeit». Weiter wird mit dem Vergleich
vom Zusammengehören von Anmut und Schönheit mit der Gesund-
heit des Körpers verdeutlicht, daß jenes Gesamtdecorum (<decorum
totum illud quidem>) wirklich25 mit der Tugend verschmolzen ist,
aber durch den Intellekt und das Denken von ihr unterschieden wird.
Zweimal erscheint die Partikel <quidem> in Ciceros Gedankengang
in bekräftigender Funktion und verrät, worauf es Cicero ankommt.
22 <itaque> bedeutet (Kühner-Stegmann II, 130/1) ursprünglich: «und so», dann
seit der klassischen Zeit auch: «daher» und reiht eine Tatsache als Folge an,
steht aber manchmal auch bei einem Vernunftschluß.
23 Die ursprüngliche Funktion von <quidem> ist nach Kühner-Stegmann I, 802/03
die Hervorhebung des Wortes, dem es unmittelbar folgt: «gerade», «gewiß»,
«sicher», «ja doch», so Cic. ad. fam. 14,4,2 und de off. 1,33. Es steht allerdings
häufiger in einräumender Funktion. Man muß aber nicht unbedingt auf dieser
einräumenden Funktion bestehen, wie L. Labowsky, Der Begriff des πρέπον,
S. 7/8, die unser <quidem> hier einschränkend verstand, die Entsprechung aber
erst im <autem> von § 96 fand und deshalb diesen Satz dorthin (an das Ende von
§ 96) umstellte.
24 An dieser Wiederholung hat man mit Recht Anstoß genommen, A. Goldbacher,
S. 19f., und L. Labowsky, a.O.; vgl. die Anmerkung 23 in ds. Kap.
25 Vgl. auch die Anmerkung 23 in ds. Kap. und Kühner-Stegmann 1,804: Die Ver-
bindung des <quidem> mit einem Pronomen ist dem Lateiner so geläufig, daß er
sie häufig auch da eintreten läßt, wo die Partikel dem Sinne nach zu einem anderen
Wort gehört; vgl. de off. 3,121.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften