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Gärtner, Hans Armin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1974, 5. Abhandlung): Cicero und Panaitios: Beobachtungen zu Ciceros "De officiis" ; vorgel. am 12. Jan. 1974 v. Viktor Pöschl — Heidelberg: Winter, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.45448#0033
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Cicero und Panaitios

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1) (Anfang § 95) das <decorum> gehört deutlich zur Gesamthonestas,
weil es zu allen ihren Teilen gehört.
2) (Ende § 95) Jenes Gesamtdecorum ist untrennbar mit der Tugend
verschmolzen.
Damit soll das, was am Anfang von § 94 als Bestimmung des <de-
corum> erschien, bewiesen sein; jetzt kommt in § 96 durch <autem>26,
als ein neuer Schritt in der Argumentation gekennzeichnet, die
Trennung in das <decorum generale> und das <genus subiectum>,
gemeint ist das <decorum>, das zu den einzelnen Teilen (Tugenden)
des <honestum> gehört.
Wichtig ist an diesem Punkt unserer Untersuchung die Feststellung,
daß Cicero bis zum Ende des § 95 das Gesamtdecorum und sein
Verhältnis zum (Gesamt)honestum im Auge hat. Die in der zweiten
Hälfte des § 94 angesprochenen Einzeltugenden dienen - wie schon
gezeigt - nur dem Beweis, daß das <decorum> den gleich großen
Bereich umfaßt wie das <honestum>. Cicero hatte also schon von
§ 93 an hauptsächlich das Gesamtdecorum im Auge. Erst im § 96
erfolgt eine Unterteilung. Zuerst wird hier das <decorum> als Ober-
begriff erörtert, erst im zweiten Teil des § 96 wendet sich Cicero
bei der Bestimmung des <genus subiecturm (<. . . ut in eo moderatio et
temperantia appareat cum specie quadam liberali>) wieder dem
Bereich der vierten Kardinaltugend zu.
Im ersten Satz des § 93 wurde die vierte Kardinaltugend (tempe-
rantia et modestia) gekennzeichnet. Sie wird deshalb bei der Auf-
zählung der anderen Kardinaltugenden (2. Hälfte des § 94) wegge-
lassen. Ein derartiger Argumentationsgang, daß die Gedanken mit-
hilfe der - wie Μ. Pohlenz, Führertum, S. 62 sagt - bequemen
Antithese fortschreiten, erinnert sehr an Ciceros Vorgehen in 1,7.
Er schickt dort die von ihm bei Panaitios vermißten Definitionen
des <officium> voraus, bestimmt zwei Arten der Untersuchungen über
das <officium> und bringt dann noch eine weitere Bestimmung durch
eine andere Zweiteilung in <perfecta> und <media officia>27. Denken
26 Vgl. Kühner-Stegmann 11,91-97: <autem> wird zur (adversativen oder kopula-
tiven) Gegenüberstellung verwendet. Es kann einen Gegensatz zum Ausdruck
bringen oder bloß anreihen. Sein Gebrauch im didaktischen Stil ist sehr häufig;
ebenso häufig wird es bei Übergängen gebraucht, wenn die Rede von einem
Gedanken zu einem neuen, der als etwas Verschiedenes dem vorangehenden
entgegengestellt wird, fortschreitet (a.O. 95); der Gebrauch in der <propositio
minor> (a.O. 93) ist m.E. nur eine spezielle Ausprägung der eben genannten
Funktion.
27 Vgl. dazu Kap. I.
 
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