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Gärtner, Hans Armin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1974, 5. Abhandlung): Cicero und Panaitios: Beobachtungen zu Ciceros "De officiis" ; vorgel. am 12. Jan. 1974 v. Viktor Pöschl — Heidelberg: Winter, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.45448#0048
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Hans Armin Gärtner

Vorzug des Menschen vor den Tieren und dann im zweiten Satz die
einzelnen Tugenden (<constantia>, <temperantia> etc.) als naturge-
gebene Rolle der Menschen angegeben werden.
Cicero spricht Ende § 97 von der <persona>, dem Charakter, der
Rolle, die uns die Natur aufgesetzt hat, Anfang § 98 - im parallelen
Satz - von <partes>59, der Rolle, die uns die Natur gegeben hat. Der
Gedankenschritt vom <Charakter> zur <Rolle> ist ein Schritt zur
Konkretisierung und Ausführung. Das paßt zu einer Tendenz, die
neben dem Bestreben zu systematisieren diese Paragraphen beherrscht.
Cicero will auf eine bestimmte Haltung hinaus. So spricht er dann
(§ 99) von <partes iustitiae> und <partes verecundiae>, woran man am
ehesten die Bedeutung des <decorum> erkennt. Dieses Bestreben, auf
eine konkrete Haltung hinauszukommen, wird uns noch beschäftigen
(S. 51/52), wir zeigen zunächst die Systematisierungstendenz.
Das Gegenüber von allgemeinem menschlichen Vorrang und
konkreten Einzeltugenden kennen wir schon aus § 96. Dort diente
der allgemeine Vorrang des Menschen zur Kennzeichnung des
<generale decorum>, die Einzeltugenden waren dagegen dem unter-
geordneten <decorum> zugeordnet. Wir haben es also in diesen
parallel gebauten Sätzen am Ende des § 97 wieder mit dem Schema
der Gegenüberstellung <generaledecorum>- untergeordnetes <decorum>
zu tun (vgl. S. 33/4).
Ob diese Gegenüberstellung einen festen Platz im Gedankenzu-
sammenhang hat, wird sich zeigen. Zuerst soll noch ein Blick auf
die beiden ersten Satzhälften geworfen werden. Wir haben schon
gesehen, daß sie sich inhaltlich kaum unterscheiden. Einen gewissen
Gedankenfortschritt könnte man vielleicht im zweiten Satz in der
Erwähnung der Vielfalt der Charaktere und in dem Hinweis sehen,
daß die Dichter auch bösen Charakteren die ihnen gemäßen Worte
und Handlungen geben müssen. Diese Beobachtung wollen wir für
später festhalten.
59 <partes> und <persona> in gleicher Bedeutung als <Rolle> finden sich z. B. bei Cic.
pro Murena 6. - Jungblut: Die Arbeitsweise Ciceros im ersten Buch über die
Pflichten, Programm Lessinggymnasium Frankfurt (1907) 59/60 will auch im
§ 96 singulae partes honestatis als «einzelne Rollen, die uns die honestas zuteilt»,
verstehen und beruft sich dabei auf die Bedeutung an unsere Stelle (§ 98). Doch
wird in § 96 <singulae partes honestatis> durch die Gegenüberstellung mit <omnis
honestas> als einzelne Teilbereiche> gesichert. Es scheint mit überhaupt nicht
richtig, ohne Beachtung des Gedankenzusammenhanges ähnliche Aussagen
sozusagen übereinanderzuschieben. So bringt dann Jungblut auch die Definitionen
des § 96 mit § 107 zusammen. Dazu s. S. 50.
 
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