Cicero und Panaitios
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Die <verecundia>68 ist auch nach der <honestas> der erste Begriff,
den Cicero am Beginn unseres Abschnittes bringt.:
§ 93 <sequitur ut de una rcliqua parte honestatis dicendum sit,
in qua verecundia et quasi quidam ornatus vitae . . . >
In § 98 wird die <verecundia> neben den anderen Ausprägungen der
vierten Kardinaltugend noch einmal erwähnt.
Am Ende seiner Argumentation sieht Cicero das Wesen des <de-
corum> am ehesten erkennbar an einer bestimmten Haltung, an einer
bestimmten Ausprägung der Tugend, eben an der <verecundia>.
Von der <verecundia> gibt Cicero (de rep. 5,6) eine Definition:
<expetunt laudem optumi et decus, ignominiam fugiunt ac dedecus.
nec vero tarn metu poenaque terrentur, quae est constituta legibus,
quam verecundia, quam natura homini dedit quasi quendam
vituperationis non iniustae timorerm.
Im orator (124) verlangt Cicero, daß die Anfänge der Rede <vere-
cunda» (zurückhaltend) sein sollen, nicht entbrannt in erhabenen
Worten, sondern scharf (<acuta>) in den Sätzen <vel ad offensionem
adversarii, vel ad commendationem sui» (natürlich beim Publikum).
So mag es gekommen sein, daß Cicero, der Redner und praktische
Politiker, das Wesen des <decorum> an der <verecundia> - wohlge-
merkt an einer bestimmten Haltung - am ehesten für erkennbar hielt.
Der Vorstellungsbereich der <verecundia> deckt sich nun aber
kaum mit allem, was Cicero in diesem Abschnitt über das <decorum>
gesagt hat. Am Anfang (§ 93) stand neben der <verecundia> noch der
<ornatus vitae>. In diesem <ornatus> wird man das Gewinnende sehen
können, das das <studium>, die Gefolgschaft bei den Mitmenschen
weckt. Dieses Gewinnende war ja, wie wir sehen werden (S. 54ff.),
von zentraler Bedeutung beim πρέπον des Panaitios. Das Sich-
Empfehlende, Hervorleuchtende ist in der <verecundia> kaum ent-
halten; sie hat nichts Leuchtendes. Das wird Cicero nicht entgangen
sein; sagt er doch <maxime perspicitur> <wird am ehesten erschaut».
Er nimmt aber die Einseitigkeit in Kauf, um ein echt römisches Wort
zu finden69.
88 Zur <verecundia> vgl. F. Lossmann: Cicero und Caesar im Jahr 54, Hermes
Einzelschriften H. 17 (1962) 69-106, jetzt auch in: Römische Wertbegriffe, hrsg.
von H. Oppermann (1967) 330-369.
89 Diese Tendenz wird in dem Brief ad Att. 16,14,3 deutlich. Dort sagt er zur Über-
setzung von καθήκον mit <officium>: mihi non est dubium, quin quod Graeci
καθήκον nos officium. Id autem quid dubitas quin etiam in rempublicam praeclare
caderet? Nonne dicimus consulum officium, senatus officium, imperatoris
officium?» Das Wort soll also im öffentlichen Leben Roms seinen Sitz haben. In
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Die <verecundia>68 ist auch nach der <honestas> der erste Begriff,
den Cicero am Beginn unseres Abschnittes bringt.:
§ 93 <sequitur ut de una rcliqua parte honestatis dicendum sit,
in qua verecundia et quasi quidam ornatus vitae . . . >
In § 98 wird die <verecundia> neben den anderen Ausprägungen der
vierten Kardinaltugend noch einmal erwähnt.
Am Ende seiner Argumentation sieht Cicero das Wesen des <de-
corum> am ehesten erkennbar an einer bestimmten Haltung, an einer
bestimmten Ausprägung der Tugend, eben an der <verecundia>.
Von der <verecundia> gibt Cicero (de rep. 5,6) eine Definition:
<expetunt laudem optumi et decus, ignominiam fugiunt ac dedecus.
nec vero tarn metu poenaque terrentur, quae est constituta legibus,
quam verecundia, quam natura homini dedit quasi quendam
vituperationis non iniustae timorerm.
Im orator (124) verlangt Cicero, daß die Anfänge der Rede <vere-
cunda» (zurückhaltend) sein sollen, nicht entbrannt in erhabenen
Worten, sondern scharf (<acuta>) in den Sätzen <vel ad offensionem
adversarii, vel ad commendationem sui» (natürlich beim Publikum).
So mag es gekommen sein, daß Cicero, der Redner und praktische
Politiker, das Wesen des <decorum> an der <verecundia> - wohlge-
merkt an einer bestimmten Haltung - am ehesten für erkennbar hielt.
Der Vorstellungsbereich der <verecundia> deckt sich nun aber
kaum mit allem, was Cicero in diesem Abschnitt über das <decorum>
gesagt hat. Am Anfang (§ 93) stand neben der <verecundia> noch der
<ornatus vitae>. In diesem <ornatus> wird man das Gewinnende sehen
können, das das <studium>, die Gefolgschaft bei den Mitmenschen
weckt. Dieses Gewinnende war ja, wie wir sehen werden (S. 54ff.),
von zentraler Bedeutung beim πρέπον des Panaitios. Das Sich-
Empfehlende, Hervorleuchtende ist in der <verecundia> kaum ent-
halten; sie hat nichts Leuchtendes. Das wird Cicero nicht entgangen
sein; sagt er doch <maxime perspicitur> <wird am ehesten erschaut».
Er nimmt aber die Einseitigkeit in Kauf, um ein echt römisches Wort
zu finden69.
88 Zur <verecundia> vgl. F. Lossmann: Cicero und Caesar im Jahr 54, Hermes
Einzelschriften H. 17 (1962) 69-106, jetzt auch in: Römische Wertbegriffe, hrsg.
von H. Oppermann (1967) 330-369.
89 Diese Tendenz wird in dem Brief ad Att. 16,14,3 deutlich. Dort sagt er zur Über-
setzung von καθήκον mit <officium>: mihi non est dubium, quin quod Graeci
καθήκον nos officium. Id autem quid dubitas quin etiam in rempublicam praeclare
caderet? Nonne dicimus consulum officium, senatus officium, imperatoris
officium?» Das Wort soll also im öffentlichen Leben Roms seinen Sitz haben. In
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