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Ernst A. Schmidt
lung, Zweiter zu sein, verbannend, dem Schafhirten würden die Musen
das Lamm überlassen, wenn sie selbst das Schaf als Preis wählten, oder
aber selbst das Lamm nehmen, so daß ihm das Schaf zufalle. So wird
subtil die Möglichkeit angedeutet, die Musen könnten sich selbst als
besiegt erklären, indem sie den geringeren (den zweiten) Preis nehmen.
Ein Schiedsrichter fehlt hier. Vergil hat die urbane Schmeichelei zu
einem selbstbewußten Anspruch gemacht. Bei ihm ist es Pan, von dem
er nun eindeutig und krass sagt: «dicat se . . . victum».
Eine Interpretation des vergilischen Arkadienbegriffs, welche die zen-
trale Tatsache, daß Arkadien für Vergil das Land Pans ist, daß «Arca-
dia» nur zweimal in den Eklogen belegt ist (ecl. 4,58 f.: «Pan etiam
Arcadia . . .» und 10,26: «Pan, deus Arcadiae, . . .»), beide Male im
Zusammenhang mit Pan, nicht zum Kern der Wesensaussage macht,
läßt sich philologisch nicht vertreten. Ebenso gehen die Herleitungen
in die Irre, die nicht ecl. 4,58f. historisch als Keim des vergilischen
Arkadien ansetzen. Und wer für ecl. 4,58 f. selbst eine Herleitung
haben zu müssen meint, verrät nur, daß er selbst ein anderes Arkadien
als das vergilische im Sinn hat, ohne sich dessen doch bewußt zu sein,
nämlich das neuzeitliche noch immer wirkungsmächtige Arkadien von
Sannazaro bis zu Goethes Faust II. Für Arkadien als Heimat Pans reicht
die mythologische Allgemeinbildung jedes antiken Gebildeten aus;
auch war es Vergil in Theokrit neben dem siebenten Idyll (v. 106 ff.)
in id. 1,123-126 gegenwärtig9. Zur Herleitung der vergilischen Arka-
dienvorstellung haben alle bisherigen Vorschläge fortzufallen: sowohl
Polybios als auch nachtheokritische Bukolik als auch Prolegomena der
Theokritscholien.
Die drei späten Eklogen stellen eine stufenweise vor sich gehende
Entfaltung von ecl. 4,58 f. mit Pan und Arkadien dar, ohne daß sie
doch Arkadien zum Raum oder zur Landschaft des jeweils ganzen Ge-
dichts machen. Diese Entfaltung Arkadiens ist der spürbarste Aus-
druck der Spätabfassung dieser drei Gedichte, gedeutet als Palinodie
auf ecl. 4, als Rückkehr zur Tamariskenbukolik. Der Schluß der vier-
ten Ekloge wird gleichsam polemisch umgewandt. Nicht wird das zu-
künftige Epos über Pan in Arkadien siegen, nein, Pan und arkadischer
Gesang sind die absoluten Vertreter der Musenkunst geworden. Das
vergilische Arkadien ist die Rückkehr zu bukolischer Dichtung als ab-
Vgl. auch Meleager, epigr. 29 Gow-Page — A. P. V 139; vgl. Büchner, a. O., Sp.
241. - Auch den homerischen Pan-Hymnus sollte man nicht vergessen (hy. 19):
a) arkadisch: v. 28-47, b) musisch: v. 14-27.
Ernst A. Schmidt
lung, Zweiter zu sein, verbannend, dem Schafhirten würden die Musen
das Lamm überlassen, wenn sie selbst das Schaf als Preis wählten, oder
aber selbst das Lamm nehmen, so daß ihm das Schaf zufalle. So wird
subtil die Möglichkeit angedeutet, die Musen könnten sich selbst als
besiegt erklären, indem sie den geringeren (den zweiten) Preis nehmen.
Ein Schiedsrichter fehlt hier. Vergil hat die urbane Schmeichelei zu
einem selbstbewußten Anspruch gemacht. Bei ihm ist es Pan, von dem
er nun eindeutig und krass sagt: «dicat se . . . victum».
Eine Interpretation des vergilischen Arkadienbegriffs, welche die zen-
trale Tatsache, daß Arkadien für Vergil das Land Pans ist, daß «Arca-
dia» nur zweimal in den Eklogen belegt ist (ecl. 4,58 f.: «Pan etiam
Arcadia . . .» und 10,26: «Pan, deus Arcadiae, . . .»), beide Male im
Zusammenhang mit Pan, nicht zum Kern der Wesensaussage macht,
läßt sich philologisch nicht vertreten. Ebenso gehen die Herleitungen
in die Irre, die nicht ecl. 4,58f. historisch als Keim des vergilischen
Arkadien ansetzen. Und wer für ecl. 4,58 f. selbst eine Herleitung
haben zu müssen meint, verrät nur, daß er selbst ein anderes Arkadien
als das vergilische im Sinn hat, ohne sich dessen doch bewußt zu sein,
nämlich das neuzeitliche noch immer wirkungsmächtige Arkadien von
Sannazaro bis zu Goethes Faust II. Für Arkadien als Heimat Pans reicht
die mythologische Allgemeinbildung jedes antiken Gebildeten aus;
auch war es Vergil in Theokrit neben dem siebenten Idyll (v. 106 ff.)
in id. 1,123-126 gegenwärtig9. Zur Herleitung der vergilischen Arka-
dienvorstellung haben alle bisherigen Vorschläge fortzufallen: sowohl
Polybios als auch nachtheokritische Bukolik als auch Prolegomena der
Theokritscholien.
Die drei späten Eklogen stellen eine stufenweise vor sich gehende
Entfaltung von ecl. 4,58 f. mit Pan und Arkadien dar, ohne daß sie
doch Arkadien zum Raum oder zur Landschaft des jeweils ganzen Ge-
dichts machen. Diese Entfaltung Arkadiens ist der spürbarste Aus-
druck der Spätabfassung dieser drei Gedichte, gedeutet als Palinodie
auf ecl. 4, als Rückkehr zur Tamariskenbukolik. Der Schluß der vier-
ten Ekloge wird gleichsam polemisch umgewandt. Nicht wird das zu-
künftige Epos über Pan in Arkadien siegen, nein, Pan und arkadischer
Gesang sind die absoluten Vertreter der Musenkunst geworden. Das
vergilische Arkadien ist die Rückkehr zu bukolischer Dichtung als ab-
Vgl. auch Meleager, epigr. 29 Gow-Page — A. P. V 139; vgl. Büchner, a. O., Sp.
241. - Auch den homerischen Pan-Hymnus sollte man nicht vergessen (hy. 19):
a) arkadisch: v. 28-47, b) musisch: v. 14-27.