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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1975, 1. Abhandlung): Das Problem der Adelphen des Terenz: vorgetragen am 30. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.45457#0010
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Viktor Pöschl

die wissenschaftliche Diskussion in Deutschland war entscheidend der
erste deutsche Adelphenkommentar von Andreas Spengel, 1876 zuerst
erschienen. Dort heißt es (2. Aufl., 157): „Demeas pädagogische An-
schauung bildet die Kehrseite zu der des Micio und zeigt uns das an-
dere, ebenso unvernünftige Extrem.“ Man ging dann noch einen Schritt
weiter und wollte, was ja nahe genug lag, darin eine Illustration der
aristotelischen Mesotes-Lehre sehen, so z.B. Wehrli1, wonach die Tu-
gend zwischen zwei Extremen die Mitte einnimmt.
Aber es gab auch immer wieder Gegenstimmen, die die alte Meinung
des Cicero und des Donat vertraten, daß es sich um ein Thesenstück
handele, das für eine liberale Erziehung plädiere, und daß Micio der Re-
präsentant der These sei2. Diese Auffassung wird übrigens von allen
späteren Lustspieldichtern geteilt, die sich an Terenz anschließen: ich
erinnere nur an die ‘Ecole des Maris’ von Moliere, der an einer Stelle
die Adelphen wörtlich zitiert, an Shadwells ‘Squire of Alsacia’ und
Cumberlands ‘Choleric Man’. Freilich fehlt in allen diesen Stücken De-
meas Rache, und in der Übersetzung der Adelphen durch den Frei-
herrn von Einsiedel, die in Weimar unter Goethes Theaterdirektion sieb-
zehnmal mit dem größten Erfolg gegeben wurde, fehlt wenigstens
Micios Heirat.
Die Kontroverse ist also nach der zutreffenden Formulierung Tränk-
les von der Frage beherrscht, „ob der Dichter Micio als Vorbild vor
Augen stellt und Demea als abschreckendes Beispiel oder ob sie nach
seiner Meinung entgegengesetzte Extreme verkörpern und das Richtige
in der Mitte liegt.“ Die erste Auffassung: Micio ‘Vorbild’, manchmal
sogar ‘Idealgestalt’ haben außer Lessing am nachdrücklichsten ver-

1 F. Wehrli, Motivstudien zur griechischen Komödie, 1936, 83.
2 Für Cicero, der das Stück gewiß im Theater sah, besteht kein Zweifel darüber, daß
Micio die sympathische und Demea die unsympathische Figur des Stückes ist, und
dieses kompetente Zeugnis wiegt schwer (Cato maior 65): At sunt morosi et anxii
et difficiles senes. Si quaerimus, etiam avari: sed haec morum vitia sunt, non se-
nectutis. Ac morositas tarnen et ea vitia, quae dixi, habent aliquid excusationis,
non illius quidem iustae, sed quae probari posse videatur: contemni se putant,
despici, illudi; praeterea in fragili corpore odiosa omnis offensio est; quae tarnen
omnia dulciora fiunt et moribus bonis et artibus idque cum in vita tum in scaena
intellegi potest ex eis fratribus qui in Adelphis sunt. Quanta in altero diritas, in
altero comitas! Sic res se habet: ut enim non omne vinum, sic non omnis natura
vetustate coacescit. Severitatem in senectute probo, sed eam, sicut alia, modicam;
acerbitatem nullo modo; avaritia vero senilis quid sibi velit, non intellego; potest
enim quicquam esse absurdius quam, quo viae minus restet, eo plus viatici quaerere ?
 
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