Das Problem der Adelphen des Terenz
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sich nie mehr einmischen zu wollen. Lessing hat das richtig verstanden:
er spürt, welche Einbuße das für seinen Geldbeutel bedeuten würde9.
Auch hinsichtlich der notwendig gewordenen Heirat des Aeschinus
reagiert er anders als sein Bruder. Der Gedanke, daß der Junge ein Mäd-
chen ohne Mitgift heiraten soll, ist ihm unerträglich. Als der Vormund
des Mädchens an die Verpflichtung des reichen Bürgers gegenüber der
armen Familie erinnert und an seine soziale Verantwortung appelliert,
gibt er eine ausweichende Antwort: er werde mit seinem Bruder darüber
sprechen. Als er das dann tut, ist er höchst erstaunt darüber, daß Micio
keinerlei Einwände erhebt und es einfach als seine Pflicht ansieht, die
Verfehlung des Aeschinus durch die Heirat wieder gut zu machen.
Es bleibt nun allerdings die Frage, wie man zu der Antwort steht, die
Demea in der Schlußszene dem Micio auf die erstaunte Frage gibt, wie es
denn zu seiner plötzlichen Großzügigkeit gekommen sei (984ff.): „Ich
wollte dir zeigen“, sagt er, „daß die Tatsache, daß die Leute dich hier
für einen gefälligen und netten Menschen halten, nicht darauf beruht,
daß dein Verhalten richtig ist, und nicht auf deiner Milde und Güte, son-
dern nur darauf, daß du immer zustimmst und nachgibst und schenkst.“
ut id ostenderem, quod te isti facilem et festivom putant,
id non fieri ex vera vita neque adeo ex aequo et bono,
sed ex adsentando, indulgendo et largiendo, Micio.
In diesen Worten sehen viele Interpreten eine Verurteilung Micios nicht
nur durch Demea, sondern durch den Dichter, wobei z.B. Thierfelder,
Neumann und Tränkle die Wendung bereits dem Menander, andere
wie Rieth, Gaiser und Büchner erst dem Terenz zuschreiben. Mir
scheint aber klar, daß wir hier nur Demeas Perspektive vor uns haben.
Demea kann sich eben Güte nur als Schwäche oder, wie sein eigenes Ver-
halten zeigt, nur als Berechnung vorstellen.
9 Man hat das nicht glauben wollen und Lessing damit widerlegen zu können ge-
meint, daß man eine Adoption in Rom rechtlich nicht rückgängig machen könne.
Aber man kann einen Sohn auch ins Haus nehmen, wenn er von einem andern
adoptiert worden ist, und es ist charakteristisch, daß Demea auf die Möglichkeit
der Zurücknahme so entschieden und so schnell reagiert. Es ist mißlich, psycho-
logisch verständliche Reaktionen einer Lustspielfigur mit juristischen Dingen zu
verwechseln, die hier außer Betracht bleiben müssen. Dieses Erbe des Positivismus,
der poetische Texte als Dokumente für reale Fakten auszudeuten bestrebt ist, hat
sich auch sonst in der Terenzforschung schlimm ausgewirkt.
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sich nie mehr einmischen zu wollen. Lessing hat das richtig verstanden:
er spürt, welche Einbuße das für seinen Geldbeutel bedeuten würde9.
Auch hinsichtlich der notwendig gewordenen Heirat des Aeschinus
reagiert er anders als sein Bruder. Der Gedanke, daß der Junge ein Mäd-
chen ohne Mitgift heiraten soll, ist ihm unerträglich. Als der Vormund
des Mädchens an die Verpflichtung des reichen Bürgers gegenüber der
armen Familie erinnert und an seine soziale Verantwortung appelliert,
gibt er eine ausweichende Antwort: er werde mit seinem Bruder darüber
sprechen. Als er das dann tut, ist er höchst erstaunt darüber, daß Micio
keinerlei Einwände erhebt und es einfach als seine Pflicht ansieht, die
Verfehlung des Aeschinus durch die Heirat wieder gut zu machen.
Es bleibt nun allerdings die Frage, wie man zu der Antwort steht, die
Demea in der Schlußszene dem Micio auf die erstaunte Frage gibt, wie es
denn zu seiner plötzlichen Großzügigkeit gekommen sei (984ff.): „Ich
wollte dir zeigen“, sagt er, „daß die Tatsache, daß die Leute dich hier
für einen gefälligen und netten Menschen halten, nicht darauf beruht,
daß dein Verhalten richtig ist, und nicht auf deiner Milde und Güte, son-
dern nur darauf, daß du immer zustimmst und nachgibst und schenkst.“
ut id ostenderem, quod te isti facilem et festivom putant,
id non fieri ex vera vita neque adeo ex aequo et bono,
sed ex adsentando, indulgendo et largiendo, Micio.
In diesen Worten sehen viele Interpreten eine Verurteilung Micios nicht
nur durch Demea, sondern durch den Dichter, wobei z.B. Thierfelder,
Neumann und Tränkle die Wendung bereits dem Menander, andere
wie Rieth, Gaiser und Büchner erst dem Terenz zuschreiben. Mir
scheint aber klar, daß wir hier nur Demeas Perspektive vor uns haben.
Demea kann sich eben Güte nur als Schwäche oder, wie sein eigenes Ver-
halten zeigt, nur als Berechnung vorstellen.
9 Man hat das nicht glauben wollen und Lessing damit widerlegen zu können ge-
meint, daß man eine Adoption in Rom rechtlich nicht rückgängig machen könne.
Aber man kann einen Sohn auch ins Haus nehmen, wenn er von einem andern
adoptiert worden ist, und es ist charakteristisch, daß Demea auf die Möglichkeit
der Zurücknahme so entschieden und so schnell reagiert. Es ist mißlich, psycho-
logisch verständliche Reaktionen einer Lustspielfigur mit juristischen Dingen zu
verwechseln, die hier außer Betracht bleiben müssen. Dieses Erbe des Positivismus,
der poetische Texte als Dokumente für reale Fakten auszudeuten bestrebt ist, hat
sich auch sonst in der Terenzforschung schlimm ausgewirkt.