Das Problem der Adelphen des Terenz
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damit kehren wir zu Lessing zurück, der gegen Diderots Komödien-
theorie und Komödienpraxis („Le Pere de famille“) Einspruch erhob mit
dem Satz: „Ich verbitte mir sehr diesen dritten Vater.“ Er vertrat die
Meinung, der wir zustimmen, daß in der Komödie ein vollkommener
Charakter keinen Platz habe. Andererseits aber verlangt sie, so meint
Lessing, eine kontrastierende Darstellung, und damit kommt er unse-
rer These nahe, daß die Übertreibung beider Charaktere, auch des Micio,
die ja den Kontrast erst vollkommen macht, den Anforderungen des
Lustspiels entspricht. Echte Komödiendichter können gar nicht so den-
ken, daß alles Licht und aller Schatten auf einen fällt, und vergessen wir
nicht, daß zur Konvention der Komödie der gebesserte Bösewicht wie
der blamierte Edelmann gehört. So gesehen ist es klar, daß Micio ein
Ideal des Terenz wie des Menander vertritt, aber in übertreibender
Weise, verzerrt durch die allgemein verbreitete Selbstgefälligkeit des
Weisen und die ebenfalls nicht unbeträchtliche Selbstzufriedenheit und
Querköpfigkeit des Guten. Er hat — so meinen Terenz wie Menander —
im Grunde recht: so sollten Väter sein, aber doch ein bißchen kritischer.
Daß Terenz dabei auch auf bestimmte römische Charakterzüge hin-
zielen wollte, davon bin ich überzeugt, und insofern hat der ungarische
Gelehrte Trencsenyi-Waldapfel wahrscheinlich nicht völlig Unrecht,
der hier eine Beziehung auf Scipio und Cato vermutet15. Eine Komödie
wie eine Tragödie steht immer im Kraftfeld ihrer Gegenwart. Es scheint
mir tief sinnvoll, daß der junge Terenz, der kurz darauf auf einer See-
reise den Tod fand — er soll nur 25 Jahre alt gewesen sein —, die Adelphen
160 v. Chr. bei der Leichenfeier des Aemilius Paulus zur Aufführung
brachte, der der Bezwinger Griechenlands und zugleich ein Verehrer der
griechischen Kultur war. Die Spiele wurden von den beiden Söhnen
des Aemilius Paulus veranstaltet, von denen der jüngere der berühmte
Scipio Aemilianus war, der spätere Zerstörer Carthagos und Numan-
tias, Freund und Gönner des Terenz, des Historikers Polybios und des
Philosophen Panaitios. Im Prolog zu den Adelphen erwähnt der Dichter,
man werfe ihm vor, daß Angehörige des römischen Adels ihm bei der
Abfassung seiner Stücke an die Hand gingen, aber, so fährt er fort, wenn
seine Komödien den Beifall dieser Herren fänden, die ihrerseits den Bei-
fall des römischen Volkes gefunden hätten, könne er in jenem Vorwurf
nur ein Lob sehen.
15 Une comddie de Terence, jouee aux fundrailles de L. Aemilius Paulus, Acta antiqua
Acad. Scient. Hung. 5, 1957, 129—167.
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damit kehren wir zu Lessing zurück, der gegen Diderots Komödien-
theorie und Komödienpraxis („Le Pere de famille“) Einspruch erhob mit
dem Satz: „Ich verbitte mir sehr diesen dritten Vater.“ Er vertrat die
Meinung, der wir zustimmen, daß in der Komödie ein vollkommener
Charakter keinen Platz habe. Andererseits aber verlangt sie, so meint
Lessing, eine kontrastierende Darstellung, und damit kommt er unse-
rer These nahe, daß die Übertreibung beider Charaktere, auch des Micio,
die ja den Kontrast erst vollkommen macht, den Anforderungen des
Lustspiels entspricht. Echte Komödiendichter können gar nicht so den-
ken, daß alles Licht und aller Schatten auf einen fällt, und vergessen wir
nicht, daß zur Konvention der Komödie der gebesserte Bösewicht wie
der blamierte Edelmann gehört. So gesehen ist es klar, daß Micio ein
Ideal des Terenz wie des Menander vertritt, aber in übertreibender
Weise, verzerrt durch die allgemein verbreitete Selbstgefälligkeit des
Weisen und die ebenfalls nicht unbeträchtliche Selbstzufriedenheit und
Querköpfigkeit des Guten. Er hat — so meinen Terenz wie Menander —
im Grunde recht: so sollten Väter sein, aber doch ein bißchen kritischer.
Daß Terenz dabei auch auf bestimmte römische Charakterzüge hin-
zielen wollte, davon bin ich überzeugt, und insofern hat der ungarische
Gelehrte Trencsenyi-Waldapfel wahrscheinlich nicht völlig Unrecht,
der hier eine Beziehung auf Scipio und Cato vermutet15. Eine Komödie
wie eine Tragödie steht immer im Kraftfeld ihrer Gegenwart. Es scheint
mir tief sinnvoll, daß der junge Terenz, der kurz darauf auf einer See-
reise den Tod fand — er soll nur 25 Jahre alt gewesen sein —, die Adelphen
160 v. Chr. bei der Leichenfeier des Aemilius Paulus zur Aufführung
brachte, der der Bezwinger Griechenlands und zugleich ein Verehrer der
griechischen Kultur war. Die Spiele wurden von den beiden Söhnen
des Aemilius Paulus veranstaltet, von denen der jüngere der berühmte
Scipio Aemilianus war, der spätere Zerstörer Carthagos und Numan-
tias, Freund und Gönner des Terenz, des Historikers Polybios und des
Philosophen Panaitios. Im Prolog zu den Adelphen erwähnt der Dichter,
man werfe ihm vor, daß Angehörige des römischen Adels ihm bei der
Abfassung seiner Stücke an die Hand gingen, aber, so fährt er fort, wenn
seine Komödien den Beifall dieser Herren fänden, die ihrerseits den Bei-
fall des römischen Volkes gefunden hätten, könne er in jenem Vorwurf
nur ein Lob sehen.
15 Une comddie de Terence, jouee aux fundrailles de L. Aemilius Paulus, Acta antiqua
Acad. Scient. Hung. 5, 1957, 129—167.