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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1975, 1. Abhandlung): Das Problem der Adelphen des Terenz: vorgetragen am 30. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.45457#0026
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Viktor Pöschl

So stehen wir mit den Adelphen des Terenz an einem Wendepunkt
westlicher Kulturtradition, wie sie Schadewaldt nachgezeichnet hat16.
Vom Athen des 4. Jahrhunderts geht der Weg nach Rom, von Menander
zu Terenz und seinen hohen Gönnern und von da zu Cicero und zu uns.
Der tiefere Grund, warum ich mich mit diesem Problem befaßt habe,
liegt darin, daß ich es betrüblich finde, daß wir Philologen ein schönes
Stück attischer Menschlichkeit in lateinischer Gestalt um seinen eigent-
lichen Sinn bringen, und als umgekehrte Alchimisten Gold in Blei ver-
wandeln, wenn wir der Meinung folgen, daß Micio ein ebenso abzuleh-
nendes Extrem sei wie Demea. Es ist gerade das Schöne, daß hier ein
griechischer und ein römischer Dichter eine humane These unaufdring-
lich und mit liebenswerter Heiterkeit verkünden, ohne die Schwächen
zu vertuschen, mit denen jedes Programm behaftet ist.
Mit unserem Thema ist die prinzipielle Frage aufgeworfen, wie sich
Programmatik und Komödie vertragen, und überhaupt, inwieweit
Theater zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen kann. Hierüber
hat sich W. Schadewaldt in einem Brief an den Göttinger Regisseur
Fleckenstein geäußert: „Gewiß, der Mensch ist korrekturbedürftig,
die Gesellschaft auf Veränderung (zum Besseren) angewiesen. Aber ver-
ändert man durch Verstandeseinwirkung, Dozieren? Wohl auch! Das
im tiefsten und nachhaltigsten Verändernde ist aber doch wohl das, was
den ganzen Menschen betrifft und überkommt, das volle Leben, darge-
stellt im Spiel, das die einzige Kraft hat, das Leben zum Leben zu brin-
gen, und das als ganz umfassende Vitalpotenz verändernder wirkt als
Dogmen oder forcierte Ideologie ... Es ist gut, wenn das Theater von
Zeit zu Zeit zur Totalität seines Ursprungs zurückkehrt und unserem
geplagten, eingeengten, eingleisigen Menschen ein wenig aufhilft und
nachhilft zu dem bißchen Menschsein, das ihm in der sich immer mehr
versteifenden, technisierten Kunstwelt gerade noch bleibt. Was er
braucht, ist neben Information Orientierung (mehr als nach dem Kom-
paß nach den Sternen), oder, anders ausgedrückt, er braucht auch ne-
ben aller Belehrung vor allem Belebung. Immer neu das Leben und den
Menschen zu beleben scheint mir nach allem eine eminent politische,
nämlich sozialhygienische Aufgabe der Kunst, der Dichtung und des
Theaters zu sein.“ Ich glaube, dieser Aufgabe haben Menander und
Terenz nicht ganz schlecht gedient.
16 Der Gott von Delphi und die Humanitätsidee, jetzt in: Hellas und Hesperien,
2. Aufl., 1970, 669-685.
 
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