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Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0026
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Uvo Hölscher

δντος λογικως φασι τινες είναι το μη δν, ούχ άπλως άλλα μη όν, ούτίο και
το ποιον. (Siehe oben Seite 18.)
Was bedeutet hier άπλως? — Aristoteles bezieht sich offenbar auf Platons
Argument über das Nicht-seiende im Sophistes 258bc: daß es in nichts den
anderen Seienden an Sein nachstehe und man getrost sagen dürfe, das Nicht-
seiende ist, als eines das sein eigenes Wesen (φυσις) hat: «wie das Große groß
ist, das Schöne schön ist... so ist und war das Nicht-seiende nicht-seiend,
eines in der Zahl der vielen Seienden». (Man beachte wieder, wie der schein-
bare Existenzbegriff als Wesensbegriff, Physis, verstanden wird.) Aber so
unbeschwert, wie hier Platon das prädikative ist als ein absolutes nimmt
(mit der Ewigkeitsformel «war und ist ...» — merkt er denn gar nicht, daß
er es im selben Atemzug als «Existenz» und als «Kopula» gebraucht?!) —
so einfach kann Aristoteles nicht mehr damit umgehn. Er muß dem Nicht-
seienden das «einfache Sein» ausdrücklich absprechen und sein sein als ein
kategoriales erklären.
Dies geschieht aber nicht, wie es scheinen könnte und gemeinhin ver-
standen wird — und wie es auch Platon an der zitierten Stelle tut — durch
die Berufung auf ein identisches Urteil (über die Nichtigkeit der «Antistheni-
schen Urteile» vgl. 1024 b 32). Damit für das besondere Was-sein der Qualität
das Nicht-seiende erläuternd sein kann, muß vom Nicht-seienden erklärt
werden, in welchem Sinne es ist. Das leistet nicht der Satz «Das Nicht-seiende
ist nicht-seiend», denn auf die Qualität angewandt ergäbe das nur: Qualität
ist Qualität. Die besondere Qualität des Nicht-seienden ist vielmehr, daß
es ein bestimmtes Nichtsein ausspricht: in demselben Sinne, wie die Qualität
ein bestimmtes Wie-sein ausspricht. Er erklärt also das Sagen des Nicht-
seienden selber als ein kategoriales Sagen. Nicht anders werden in Γ 1
(1003 b 10), unter den Kategorien als dem Sagen eines Seienden (όντα
λεγεται), auch die Negationen mitaufgeführt: «Darum sagen wir auch,
daß ein Nichtseiendes nicht-seiend ist». Das Nicht-seiende, das hier gemeint
ist, ist keineswegs das Nichts, oder das Nicht-existente (so Ross II 171 ad 25),
sondern, z. B., das Nicht-weiße: von ihm sagen wir «... ist nicht-weiß». So auch
in Z 4: DasNicht-seiende ist, heißt: es ist Nicht-sein im Sinne der Kategorien.
Man muß sich hüten, den Ausdruck άπλως είναι, άπλως είπειν als Bezeich-
nung des «absoluten» Gebrauchs in der Bedeutung «existieren» zu nehmen.
'Απλως wird von Aristoteles nicht terminologisch verwendet, sondern be-
stimmt sich je aus dem Zusammenhang und dem Gegensatz. In E 2 (1026 a
33) steht es generell für die verschiedenen Bedeutungen von sein, ist also
weder dem prädikativen noch überhaupt dem πολλαχως λεγόμενόν ent-
gegengesetzt; es hebt den Begriff des Seienden als solchen und als Problem
der ersten Philosophie gegen das diverse bestimmte Seiende als Gegenstand
der Einzelwissenschaften ab. In Z 4 bezeichnet es das «eigentliche» und
«ursprüngliche» Sein der ουσία gegenüber dem «abgeleiteten» der Kate-
gorien. Die Seiendheit der ουσία aber gründet nicht in ihrer Existenz, sondern
in ihrer Wesenheit.
 
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