Euripides' Medea ■ Anmerkungen
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eben darauf bezieht sich Medea sowohl in den zitierten Versen (ήσυχαΐος 808)
als auch in einer der „harten“ Phasen des großen Monologes (άλλα τής έμής
κάκης 1051).
Die zitierten Verse enthalten den Verhaltenskodex, zu dem sich Medea feier-
lich bekennt. Durch das ganze Stück hindurch aber wiederholen sich die Äuße-
rungen, nach denen ihre Ehre, ihr moralisches Ansehen, das „Nicht-verlacht-
werden“ durch die Feinde Richtschnur ihres Handelns ist und sie zur Rachetat
zwingt (383; 404; 797; 1049; 1355; 1362). Das gilt auch für die nachträgliche
Rechtfertigung ihrer Tat (s. o. S. 41).
Daß die Bindung an dieses Lebensideal dem Mann und Krieger, nicht aber
der Frau, zukommt, ergibt sich nicht nur aus den oben zusammengestellten Text-
parallelen. Das ist auch Medea selbst und den Partnern ihres Handelns bewußt.
Schon die Amme bezeichnet ganz am Anfang des Stückes ihre Herrin als δεινή
(44), und ihre αύθαδία, ihre harte, unweibliche Ichbezogenheit und Unabhängig-
keit wird von der Amme (104), von Jason (621) und von Medea selbst (1028) miß-
billigend registriert. Θράσος und δεινά τόλμα, unwiderstehliche, skrupellose
Entschluß- und Tatkraft findet der Chor bei Medea (856; vgl. 814), Eigenschaften
also, an die sie selbst vor ihrer Tat appellieren muß (τολμητέον τάδε 1051; χεϊρα
δ’ ού διαφθερώ 1055; vgl. die unmittelbar vor der Tat gesprochenen Verse
1242-47). Daß solches θράσος beim Mann nicht so uneingeschränkt als tadelns-
wert zu gelten hat, ergibt sich aus Medeas Scheltrede (469f.): Jasons Verhalten,
so sagt, sie, komme nicht aus θράσος und εύτολμία, sondern aus Schamlosigkeit
(άναίδεια). Es gab die Τόλμα als göttliche Personifikation (schol. Aesch. Prom.
12). Ihr opferte Scipio nach dem Bericht Appians (Libyca 21). Nach dem Bericht
Plutarchs (Is. et. Os 75, 381 F) ordneten die Pythagoreer der τόλμα die Zahl Zwei
zu, und die durchaus nicht immer negative Verwendung der Wörter τόλμα und
θράσος ist auch für den unterminologischen Sprachgebrauch hellenistischer Zeit
belegt (Polyb. 3,19,9).
Das alles ändert nichts daran, daß diese Eigenschaften bei einer Frau nach der
allgemeinen Meinung unwillkommen sind. Besonders deutlich wird das in der
Trugszene. Um ihren Sinneswandel zu Friedfertigkeit und Nachgiebigkeit glaub-
haft zu machen, bezichtigt sich Medea nicht nur der übermäßigen Emotionen
(μαίνομαι 873, θυμός 879 - zur Verwendung dieses Wortes in diesem Sinn in der
Trugrede s. o. S. 30; θυμουμένη 883). Der Vorwurf der άβουλία (882), des άφρων
είναι (885) oder des κακώς φρονεΐν (892), den sie sich auf Grund ihrer nunmehr
besseren Überlegung (872; 890) macht, bezieht sich vor allem darauf, daß sie sich
nicht, wie es einer vernünftigen Frau ansteht, den wohlwollenden und weisen Maß-
nahmen der Mächtigen gefügt hat (874-78; ή χρήν μετεΐναι τώνδε των βουλευ-
μάτων 886). Medea gibt vor, sich selbst am Bild der γυνή σώφρων zu orientieren,
die die Schwäche ihres Geschlechtes kennt (άλλ’ έσμέν οίόν έσμεν 889), insbe-
sondern seine Neigung zu unkontrollierter Emotion und Tränen (928), und die
darum einsieht, daß sie sich der überlegenen Einsicht des Mannes zum eigenen
Besten unterwerfen wird (886). Diese Rede entspricht genau den Anschauungen,
die Jason von Wesen (είκός γάρ όργάς θήλυ ποιεϊσθαι γένος 909) und Pflicht
(έγνως δέ τήν νικώσαν, άλλα τω χρόνω | βουλήν- γυναικός έργα ταΰτα σώφρονος
912f.) der Frau hat, die Kreon äußert (319) - und die Medea selbst im Hinblick
auf andere Frauen teilt: λέξης δέ μηδέν των έμοί δεδογμένων, εΐπερ φρονείς
εΰ δεσπόταις γυνή τ’ έφυς sagt sie zu den Frauen des Chores (822 f.). Mit diesen
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eben darauf bezieht sich Medea sowohl in den zitierten Versen (ήσυχαΐος 808)
als auch in einer der „harten“ Phasen des großen Monologes (άλλα τής έμής
κάκης 1051).
Die zitierten Verse enthalten den Verhaltenskodex, zu dem sich Medea feier-
lich bekennt. Durch das ganze Stück hindurch aber wiederholen sich die Äuße-
rungen, nach denen ihre Ehre, ihr moralisches Ansehen, das „Nicht-verlacht-
werden“ durch die Feinde Richtschnur ihres Handelns ist und sie zur Rachetat
zwingt (383; 404; 797; 1049; 1355; 1362). Das gilt auch für die nachträgliche
Rechtfertigung ihrer Tat (s. o. S. 41).
Daß die Bindung an dieses Lebensideal dem Mann und Krieger, nicht aber
der Frau, zukommt, ergibt sich nicht nur aus den oben zusammengestellten Text-
parallelen. Das ist auch Medea selbst und den Partnern ihres Handelns bewußt.
Schon die Amme bezeichnet ganz am Anfang des Stückes ihre Herrin als δεινή
(44), und ihre αύθαδία, ihre harte, unweibliche Ichbezogenheit und Unabhängig-
keit wird von der Amme (104), von Jason (621) und von Medea selbst (1028) miß-
billigend registriert. Θράσος und δεινά τόλμα, unwiderstehliche, skrupellose
Entschluß- und Tatkraft findet der Chor bei Medea (856; vgl. 814), Eigenschaften
also, an die sie selbst vor ihrer Tat appellieren muß (τολμητέον τάδε 1051; χεϊρα
δ’ ού διαφθερώ 1055; vgl. die unmittelbar vor der Tat gesprochenen Verse
1242-47). Daß solches θράσος beim Mann nicht so uneingeschränkt als tadelns-
wert zu gelten hat, ergibt sich aus Medeas Scheltrede (469f.): Jasons Verhalten,
so sagt, sie, komme nicht aus θράσος und εύτολμία, sondern aus Schamlosigkeit
(άναίδεια). Es gab die Τόλμα als göttliche Personifikation (schol. Aesch. Prom.
12). Ihr opferte Scipio nach dem Bericht Appians (Libyca 21). Nach dem Bericht
Plutarchs (Is. et. Os 75, 381 F) ordneten die Pythagoreer der τόλμα die Zahl Zwei
zu, und die durchaus nicht immer negative Verwendung der Wörter τόλμα und
θράσος ist auch für den unterminologischen Sprachgebrauch hellenistischer Zeit
belegt (Polyb. 3,19,9).
Das alles ändert nichts daran, daß diese Eigenschaften bei einer Frau nach der
allgemeinen Meinung unwillkommen sind. Besonders deutlich wird das in der
Trugszene. Um ihren Sinneswandel zu Friedfertigkeit und Nachgiebigkeit glaub-
haft zu machen, bezichtigt sich Medea nicht nur der übermäßigen Emotionen
(μαίνομαι 873, θυμός 879 - zur Verwendung dieses Wortes in diesem Sinn in der
Trugrede s. o. S. 30; θυμουμένη 883). Der Vorwurf der άβουλία (882), des άφρων
είναι (885) oder des κακώς φρονεΐν (892), den sie sich auf Grund ihrer nunmehr
besseren Überlegung (872; 890) macht, bezieht sich vor allem darauf, daß sie sich
nicht, wie es einer vernünftigen Frau ansteht, den wohlwollenden und weisen Maß-
nahmen der Mächtigen gefügt hat (874-78; ή χρήν μετεΐναι τώνδε των βουλευ-
μάτων 886). Medea gibt vor, sich selbst am Bild der γυνή σώφρων zu orientieren,
die die Schwäche ihres Geschlechtes kennt (άλλ’ έσμέν οίόν έσμεν 889), insbe-
sondern seine Neigung zu unkontrollierter Emotion und Tränen (928), und die
darum einsieht, daß sie sich der überlegenen Einsicht des Mannes zum eigenen
Besten unterwerfen wird (886). Diese Rede entspricht genau den Anschauungen,
die Jason von Wesen (είκός γάρ όργάς θήλυ ποιεϊσθαι γένος 909) und Pflicht
(έγνως δέ τήν νικώσαν, άλλα τω χρόνω | βουλήν- γυναικός έργα ταΰτα σώφρονος
912f.) der Frau hat, die Kreon äußert (319) - und die Medea selbst im Hinblick
auf andere Frauen teilt: λέξης δέ μηδέν των έμοί δεδογμένων, εΐπερ φρονείς
εΰ δεσπόταις γυνή τ’ έφυς sagt sie zu den Frauen des Chores (822 f.). Mit diesen