Metadaten

Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 1. Abhandlung): Visio absoluta: Reflexion als Grundzug des göttlichen Prinzips bei Nicolaus Cusanus ; vorgetragen am 5. 11. 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45467#0023
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Visio absoluta

13

Einheit in 'De Principio’, dieser aus dem intensiven Studium des Prok-
los erwachsenden Predigt des Jahres 1459, sich mit den Überlegungen
zum reflexiven Einheitsbegriff in 'De visione Dei’ der Sache nach trifft,
sei wenigstens angedeutet. Die Predigt hat die Antwort Jesu auf die
Frage 'Tu quis es?’ zum Thema: 'Principium, qui et loquor vobis’ (Joh.
8,25). Die nicht adäquate Übersetzung des griechischen Textes31 ließ
eine Wesensaussage verstehen: „Ich bin das Prinzip (der Ursprung) und
spreche zu Euch“. Das Sein des Ursprungs bestimmt Cusanus zunächst
durch den proklischen Begriff 'authypostaton’ (per se subsistens)32 als
Durch-sich-selbst-Sein. Dieses charakterisiert das infinitum-esse des
Ursprungs, sein Unbegrenzt- oder Unbestimmt-Sein, welches als Be-
stimmung seiner selbst (und dadurch als Bestimmung alles Anderen)
nicht mehr durch ein Bestimmendes hintergreifbar ist, das den Grund
aller Bestimmung selbst wieder aufheben würde. Dieser unverfügbare
Ursprung kann nur Einer oder das Eine schlechthin sein; Cusanus
begründet diesen Gedanken, indem er den heilsgeschichtlichen Satz aus
Lukas 10,42: 'unum autem est necessarium’ mit der metaphysischen
Aussage des Proklos über den universalen und einen Grund verbindet:33
das EINE nur ist notwendig, das EINE ist das Notwendige oder die
absolute Notwendigkeit, sofern es durch sich selbst ist und zugleich
Grund jeglichen Seins „außer“ ihm ist. Das 'unum necessarium’ oder
'absolutum’ ist - von Proklos hierin allerdings unterschieden - durch-
aus als die intensivste Form von Sein, zugleich aber auch - dies im
Sinne des Proklos - als eine Realität zu denken, die über jeder Be-
stimmtheit von Sein ist. Über der Dimension von Seiendem ist das
Eine z.B. dadurch, daß es aus der Seiendes insgesamt bestimmenden
Dialektik von Möglichkeit und Wirklichkeit als die gründend-ermög-
lichende Einheit dieser beiden herausgenommen ist. Gerade weil das
Prinzip die Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit, Eines und Sein
31 eXeyov oßv avTÖ: oC t!<; el; slnsv avrotc; ö ’lriaoCq- ti)v dQxt|v & ti Kai XaXcö
Opiv; - Augustinus versteht diese Stelle, nicht zuletzt durch eine Reflexion auf
den griechischen Text (Akkusativ), nicht unmittelbar als Wesensaussage (prin-
cipium sum), sondern bezieht diese in den Akt des Glaubens ein: principium
me credite (in Joh. 38,11).
32 princ. 2. 20,4. 22,8. Die cusanische Interpretation widerspricht allerdings dem
proklischen Begriff, insofern dieser nicht als Prädikat des Einen fungiert. Dis-
kussion dieser Frage bei Plotin VI 8,7,53 (aöxö aurö 7toi£i); 10,23: ou% Ö7to-
OTi)aa<; 6avr6v. 8f: dp/fjc; 3s rfj<; Kdcrriq ouk ecttiv deyi) (principium sine prin-
cipio).
33 Ebd. 6,3ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften