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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 1. Abhandlung): Visio absoluta: Reflexion als Grundzug des göttlichen Prinzips bei Nicolaus Cusanus ; vorgetragen am 5. 11. 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45467#0024
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Werner Beierwaltes

schlechthin ist, ist es Nichts von Allem (nihil entium)34. Dadurch ist es
einem kategorialen Denken auch nicht direkt und präzise erreichbar
und in seinem An-Sich nicht aussprechbar, da die Sprache nur bestimmt-
seiendes Etwas trifft (vocabulum). Lediglich der Methode negativer
Ausgrenzung ist es zugänglich, die dasjenige präzisiert, was von ihm
nicht sagbar ist. Darin folgt Cusanus ganz den Negationen des pro-
klischen Parmenides-Kommentars, die in der Aussage kulminieren, das
Eine sei jenseits von Gegensätzen, vor jeder Andersheit, vor Affir-
mation und Negation: das „absolute Vor“35 *.
Dieser Gedanke, daß das Prinzip das Eine (Notwendige) als Aus-
sich-selbst-Sein, daß es der nicht mehr bestimmbare Grund seiner selbst
und des Anderen, der selbst übergegensätzliche Grund von Gegensätz-
lichkeit, das Nichts von Allem und zugleich Sein im eminenten oder
absoluten Sinne ist, wird auch ohne direkte Anknüpfung an neupla-
tonisches, insbesondere proklisches Denken von dem primär durch den
Akt des Sehens bestimmten Prinzip-Begriff in 'De visione Dei’ erreicht.
Das göttliche Prinzip ist auch in der Explikation des absoluten Sehens
als reine Einheit oder absolute Einfachheit gedacht. Diese Einheit kon-
stituiert sich jedoch nicht derart als das schlechthin Nicht-Viele (arcoX-
Xov), daß sie, wie im proklischen Kontext, Relationalität aus-
schlösse, sie ist und lebt vielmehr gerade aus ihr. Das was in ihr oder
was sie selbst ist: die Ideen als der Vorentwurf von Welt, die „noch“
immanente worthafte Selbstexplikation des „Anfangs“, kann nicht als
reale Differenz in ihr gedacht werden 36, sondern nur als eine Entfal-
tung des Selben. Daher ist die dreimalige „Wiederholung“ von 'unum’
oder 'non-aliud’ eine adäquate Formulierung der Intention37: das absolut
Selbe oder Eine entfaltet sich selbst in sich selbst; diese Entfaltung kon-
stituiert zwar Relationalität, jedoch keine reale Differenz. Auch die
Sprache ist dialektisch: sie zeigt trotz der 'distinctio’ die Einheit, trotz
der Einheit oder Nicht-Andersheit die 'distinctio’ an. - Die sich in sich
selbst entfaltende und konstituierende Einheit schließt als Unendliches
auch das Endliche als Unendliches in sich ein; so kann weder in ihr
noch außer ihr ein ihr gegenüber Anderes gedacht werden. Anders
ist das Andere nur von ihm selbst her. Die im Modus der Zeitlichkeit
34 18,4; 14. 22,2. 34,14ff. possest 14,14: absolutum esse.
35 princ. 20,3: ante omnem alteritatem. 24,15: ante omnem affirmationem et nega-
tionem. 23,6: die „Ewigkeit“ des autounum als das absolutum 'ante5.
36 vis. 10; 103 v 25.
37 Ebd. 17; 108 r 40. non aliud 5; 12,11 ff. - Dreimaliges 'id ipsum’ als Formulie-
rung der Trinität: Aug. Conf. XII 7,7.
 
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