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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 1. Abhandlung): Visio absoluta: Reflexion als Grundzug des göttlichen Prinzips bei Nicolaus Cusanus ; vorgetragen am 5. 11. 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45467#0029
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Visio absoluta

19

des endlich Seienden, wie successio, alteritas, contractio, finis sind im
Un-Endlichen und sind zugleich nicht, weil sie auf absolute Weise in
ihm sind (alteritas sine alteritate oder oppositio sine oppositione)59;
das Seiende ist in ihm zugleich sein (des Prinzips) Nicht-Sein des
Seienden, obgleich letzteres nur durch dessen Entäußerung überhaupt
als es selbst sein kann; das Vermögen (Können) ist in ihm Sein (Wirk-
lichkeit) ; als das absolute Maximum schließt es - nicht in einem super-
lativistischen Sinne innerhalb der selben Dimension, sondern als abso-
lute Differenz (non-aliud) - auch das absolute Minimum in sich.
Eine Beschreibung der identifizierenden (absoluten) Einheit dieser
in sich verschiedenen Akte oder, vom Aspekt des Endlichen her, dieser
gegensätzlichen oder gar widersprüchlichen Seinsweisen ist durch das
Seins- und Erkenntnisprinzip der ‘coincidentia oppositorum' oder 'coin-
cidentia contradictoriorum’ intendiert. Dieses steht, durch die Schrift
„Über die Mutmaßungen“ vorbereitet, auch in 'De visione Dei’ unter
einem conjecturalen Vorbehalt: „Wenn ich Dich, Gott, im Paradiese
sehe, das diese Mauer des Zusammenfalls der Gegensätze umgibt, dann
sehe ich, daß Du weder einfaltest noch entfaltest, weder trennend noch
verbindend. Trennung nämlich und gleicherweise Verbindung ist die
Mauer des Zusammenfalls, jenseits derer Du bist, allem, was (von Dir)
ausgesagt oder gedacht werden kann, enthoben (absolutus)“60. Durch
die Metapher „Mauer“ soll das Coincidenz-Prinzip nicht als ineffektiv
beiseitegesetzt werden; nicht nur die Formulierung der selben Schrift,
daß Gott „in dem Zusammenfall wohne“61, sondern auch die Argu-
mentation zur reflexiven Einheit im ganzen liefe einer solchen Annahme
zuwider. Herausgehoben wird durch die Metapher vielmehr, daß der
dem endlichen Denken durch geometrische und mathematische manu-
ductiones erreichbare Begriff der Coincidenz für das Absolute nicht
zureichend oder ungenau ist, da er immerhin ein „Zusammenbestehen“
von Gegensätzen im Absoluten suggerieren könnte, eine Aufhebung

59 Z. 25.
60 11; 104 v 24-27: quando video te deum in paradiso, quem illic murus coinci-
dentiae oppositorum cingit, video te nee complicare nec explicare disiunctive
vel copulative. disiunctio enim pariter et coniunctio est murus coincidentiae:
ultra quem existis absolutus ab omni eo quod aut dici aut cogitari potest. Zur
Metapher 'murus’ vgl. ferner 9; 103 v 17ff. 10; 104 r 27. 11; 104 v 15. 13; 105 r 31.
17; 108 v 41. Zur Interpretation: J. Stallmach, Das Absolute und die Dialektik
bei Cusanus im Vergleich zu Hegel, Scholastik 39, 1964, 503.
61 10; 104 r 34: ... ubi habitas in coincidentia. Dies kann - so nahe im Kontext -
dem 'supra’ nicht widersprechen.
 
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