Visio absoluta
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heit, weil er sie in der „Gestalt der Gestalten“ sieht, die selbst der
„lebendig“ spiegelnde Spiegel ist. Abbild ist der Sehende zwar durch
sein creatives Sein in sich, im Spiegel des Absoluten aber sieht er
seine Wahrheit, weil diese ihn, den Sehenden, in ihr zugleich als sie
selbst sieht75.
Das Sein setzende, verursachende, d. h. aus Nichts oder aus ihm
selbst „rufende“ Sehen76 unterscheidet (discernit) jedes einzelne Sei-
ende im Ganzen und verbindet es zugleich zu einer relationalen Ein-
heit77, durch die jedes Einzelne im Anderen auf je verschiedene Weise
ist: Im entäußerten Universum ist quodlibet in quolibet. Das in der
Seinskonstitution unterscheidende Sehen aber ist - von dem aenigma-
tischen Gottesnamen 'idem’ her gedacht - ein Selbiges-Setzen (identi-
ficare): das 'idem absolutum’ begründet das Einzelne als ein mit sich
selbst jeweils Identisches, dadurch wird es zugleich zum Grund der
ontologischen Unterschiedenheit des Seienden. Indem das Einzelne als
Einzelnes oder mit sich Identisches ersehen wird, stellt sich unmittelbar
auch Andersheit, Endlichkeit und Grenze als dessen eigene Bestimmung
heraus78. - Die der unterscheidenden analoge verbindende oder eini-
gende Funktion des creativen Sehens erweist sich darin, daß das Prin-
zip - um Alles in Allem zu sein - das Seiende insgesamt als dessen
Wesen und zugleich als transzendent bleibender Grund „durchdringt“,
„umgreift“, oder es „lebendig macht“79 80. Dieses sehende Umfassen des
Einzelnen zur Einheit des Universums hin kann auch theologisch als
Vor-Sehen (providentia), Lieben, Sorge tragen, Erbarmen oder Sein bei
allem Seienden verstanden werden89. Der primär philosophische Ge-
75 Ebd. 15; 107r7ff. Vgl. auch 8; 102 v 41 ff. Geschichtliche Hinweise auf die
Metapher des lebenden, schaffenden (aktiven) Spiegels bei H. Leisegang, Die
Erkenntnis Gottes im Spiegel der Seele und der Natur, Z. f. phil. Forsch. 4,
1949, 161-183.
76 10; 104 r 3ff. 12; 105 r 15. 8; 102 v 19: videre tuum est causare. princ. 21,11:
essentiare (vgl. die aktive ouairootq der demiurgischen Weisheit Gottes im Johan-
nes-Kommentar des Origenes, GCS Origenes IV 484,14ff. 24,1 ff), non aliud 23;
54,28: illius (dei) videre constituere est.
77 8; 102 v 19ff.
78 Vgl. W. Beierwaltes, Identität und Differenz (oben Anm. 17) 19ff. de genesi,
Opusc. I 149,2. 150,7: idem identificat. non-aliud definit, d.h. es setzt Identität
und Andersheit (vgl. oben Anm. 23): deus als 'mensura’ und aktive 'praecisio’
des Seienden.
79 9; 103 r 33. princ. 27,14: penetrare. 14; 106 r 4: infinitas . . . omne esse ambit.
4; 100 v 5: vivificare.
80 8; 102 v 6f: visio tua providentia est. c. 4 u. 5 im ganzen, praef. 99 v 3; 5f (cura).
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heit, weil er sie in der „Gestalt der Gestalten“ sieht, die selbst der
„lebendig“ spiegelnde Spiegel ist. Abbild ist der Sehende zwar durch
sein creatives Sein in sich, im Spiegel des Absoluten aber sieht er
seine Wahrheit, weil diese ihn, den Sehenden, in ihr zugleich als sie
selbst sieht75.
Das Sein setzende, verursachende, d. h. aus Nichts oder aus ihm
selbst „rufende“ Sehen76 unterscheidet (discernit) jedes einzelne Sei-
ende im Ganzen und verbindet es zugleich zu einer relationalen Ein-
heit77, durch die jedes Einzelne im Anderen auf je verschiedene Weise
ist: Im entäußerten Universum ist quodlibet in quolibet. Das in der
Seinskonstitution unterscheidende Sehen aber ist - von dem aenigma-
tischen Gottesnamen 'idem’ her gedacht - ein Selbiges-Setzen (identi-
ficare): das 'idem absolutum’ begründet das Einzelne als ein mit sich
selbst jeweils Identisches, dadurch wird es zugleich zum Grund der
ontologischen Unterschiedenheit des Seienden. Indem das Einzelne als
Einzelnes oder mit sich Identisches ersehen wird, stellt sich unmittelbar
auch Andersheit, Endlichkeit und Grenze als dessen eigene Bestimmung
heraus78. - Die der unterscheidenden analoge verbindende oder eini-
gende Funktion des creativen Sehens erweist sich darin, daß das Prin-
zip - um Alles in Allem zu sein - das Seiende insgesamt als dessen
Wesen und zugleich als transzendent bleibender Grund „durchdringt“,
„umgreift“, oder es „lebendig macht“79 80. Dieses sehende Umfassen des
Einzelnen zur Einheit des Universums hin kann auch theologisch als
Vor-Sehen (providentia), Lieben, Sorge tragen, Erbarmen oder Sein bei
allem Seienden verstanden werden89. Der primär philosophische Ge-
75 Ebd. 15; 107r7ff. Vgl. auch 8; 102 v 41 ff. Geschichtliche Hinweise auf die
Metapher des lebenden, schaffenden (aktiven) Spiegels bei H. Leisegang, Die
Erkenntnis Gottes im Spiegel der Seele und der Natur, Z. f. phil. Forsch. 4,
1949, 161-183.
76 10; 104 r 3ff. 12; 105 r 15. 8; 102 v 19: videre tuum est causare. princ. 21,11:
essentiare (vgl. die aktive ouairootq der demiurgischen Weisheit Gottes im Johan-
nes-Kommentar des Origenes, GCS Origenes IV 484,14ff. 24,1 ff), non aliud 23;
54,28: illius (dei) videre constituere est.
77 8; 102 v 19ff.
78 Vgl. W. Beierwaltes, Identität und Differenz (oben Anm. 17) 19ff. de genesi,
Opusc. I 149,2. 150,7: idem identificat. non-aliud definit, d.h. es setzt Identität
und Andersheit (vgl. oben Anm. 23): deus als 'mensura’ und aktive 'praecisio’
des Seienden.
79 9; 103 r 33. princ. 27,14: penetrare. 14; 106 r 4: infinitas . . . omne esse ambit.
4; 100 v 5: vivificare.
80 8; 102 v 6f: visio tua providentia est. c. 4 u. 5 im ganzen, praef. 99 v 3; 5f (cura).