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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 2. Abhandlung): Bocksbeutel und Aryballos: philologischer Beitrag zur Urgeschichte einer Gefäßform ; vorgetr. am 9. Juli 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45468#0029
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Bocksbeutel und Aryballos

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Hier tritt nun das sogenannte <sakrale u> in seine Rechte75. Aus-
gehend vom o-Stamm ianus, -i <der Türbogen> hat schon der be-
deutende Sprachforscher Wilhelm Schulze76 festgestellt, daß dieser
Begriff, sobald er zum Gott Ianus erhoben wurde, im Lateinischen
auch als u-Stamm auftreten kann, wofür u. a. die Weiterbildung
ianua <Tür> und die Ableitung Ianuarius zeugen, und Schulze hat
aus derartigen Beobachtungen die Regel abgeleitet (S. 474): «Die
sakrale Funktion des Wortes verändert auch seine Form, aus dem
o-Stamm wird . . . ein u-Stamm». Andere Forscher, vor allem Specht
und Hävers, haben hier weitergebohrt77, und ich kann aus der unge-
heueren Fiille des beigebrachten Materials nur einiges ganz Wenige,
für unseren Zweck Geeignete herausgreifen, das zum Teil auch eigener
Observation entstammt. Besonders Wilhelm Hävers hat zur Klärung
der Begriffe erheblich beigetragen, indem er das <sakrale u> zum
<expressiven u> erweitert hat, für welches das tiefe u der Bruststimme
auch nach dem Urteil sowohl der Phonetiker wie der Psychologen das
teils feierliche teils erregte Substrat abgibt.
Der numinose Urlaut des evoi als Kultruf der Dionysosgemeinde
gehört ebenso hierher wie die öXoXvyr) der griechischen und der
ululatus der römischen Religion, aber auch noch unser <pfui> oder
der Buh-Ruf im Theater78 wie andrerseits jedes aus tiefster Brust

75 Für yepavog — grus darf in diesem Zusammenhang an den Kranich als Wetter-
propheten und Zeichenkünder (<Kraniche des Ibykus>) etc. erinnert werden;
s. dazu D. W. Thompson, A Glossary of Greek Birds 1936 (Nachdruck 1966),
S. 71 ff. mit reichem Belegmaterial.
76 W. Schulze, Zur Gesch. lat. Eigennamen 1904, S. 471 ff.
77 Frz. Specht, Die äußere Sprachform als Ausdruck der seelischen Einstellung. In:
Die Alten Sprachen 5. 1940, S. 112 ff., hier 117 ff. mit weiterer Literatur. — Der-
selbe, Der Ursprung der idg. Deklination 1944 (Neudruck 1947), S. 303 ff. —
Derselbe, Zum sakralen u. In: Festschrift für W. Hävers 1949, S. 43ff. —
W. Hävers, Zur Entstehung eines sogen, sakralen u-Elementes. In: Anzeiger der
phil.-hist. Klasse der österr. Akad. d. Wiss. Wien 1947, S. 139 ff., mit wesentlichen
Ergebnissen über Specht hinaus (auch mit dem Hinweis auf Em. Swedenborg als
ersten Entdecker der Verwendung von u und o zur Kennzeichnung des Göttlichen
und Erhabenen). — Wieder etwas vorsichtiger, aber mit guter methodischer Ab-
grenzung des Phänomens H. Birkhan, Germanen und Kelten bis zum Ausgang
der Römerzeit 1970, S. 546—551, wo der Name der germanischen Göttin Nerthus
als Produkt des sakralen u-Elements erklärt wird; dort auch weitere Literatur.
78 Zum Lächeln und Kichern zwischen E und I, das heute vorherrscht gegenüber
einem vitaleren Lachen zwischen A und O und U, hat Vilma Sturm in ihrem
Essaiband <Nebenbei> gute Beobachtungen und geistreiche Bemerkungen bei-
gesteuert; s. dazu E. Skasa-Weiß in der Frankf. Allg. Ztg. vom 5. 5. 1973.
 
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