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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0052
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Eike Wolgast

Zweifellos unter Berücksichtigung der aktuellen Situation - die Schrift
wurde unter dem Eindruck der Ermordung der Guises begonnen und
war beim Tode Heinrichs III. etwa zur Hälfte fertiggestellt - hat Bou-
cher diese Frage noch weiter zugespitzt und damit zugleich „demokrati-
siert“, indem dem Einzelnen und der Masse der amtlosen Untertanen
ein weit größerer Freiraum subjektiver Entscheidung eingeräumt wurde
als in den bisherigen Erörterungen der Monarchomachen. Bleibt ein
Urteilsspruch der befugten Instanzen aus, kann dieser durch die Volks-
meinung ersetzt werden. Das Urteil des Volkes manifestiert sich in offe-
nem Aufstand und im Abfall vom tyrannischen Herrscher; dieser wird
dadurch zur Privatperson und ist jedermann zur Bestrafung freigege-
ben.
Mit dieser Begründung eines Widerstandsrechts des Volkes hat Bou-
cher die Ereignisse in Paris und die ligistische Stimmung nach der Er-
mordung der Guises in sein theoretisches Konzept eingefügt. Er ist sei-
ner Anschauung von der Erlaubtheit des Tyrannenmordes auch nach
dem Siege Heinrichs IV. treugeblieben und hat 1595 in „L’Apologie
pour Jean Chastel“ das Attentat auf den König verteidigt: Chastel habe
nicht einen legitimen Herrscher töten wollen, sondern den tyrannischen
Usurpator, gegen den es keines ausdrücklichen Richterspruchs bedürfe.
Die Absicht des zweiten großen ligistischen Traktats aus den Ent-
scheidungsjahren des Kampfes um die Macht in Frankreich geht bereits
aus dem Titel hervor: „De iusta Reipublicae Christianae in Reges im-
pios et haereticos authoritate iustissimaque Catholicorum ad Henricum
Navarraeum et quemcunque haereticum a regno Galliae repellendum
confoederatione“114. 1590 unter dem Pseudonym „Guilelmus Rossae-
us“ erschienen, ist die mit großem Aufwand an Gelehrsamkeit abge-
faßte, im Einzelnen weit weniger als Boucher von den protestantischen
Vorbildern abhängige Schrift bezeichnenderweise dem Herzog von
Mayenne gewidmet115. Inhaltlich führte sie kaum über Boucher hinaus,
114 Paris 1590; zweite Auflage Antwerpen 1592 (danach im Folgenden zitiert). Die Ver-
fasserschaft ist noch ungelöst; als Autoren sind vor allem der Bischof von Senlis Guil-
laume Rose oder der in Frankreich lebende englische Theologe William Rainolds her-
angezogen worden; zu Rossaeus’ Schrift vgl. zuletzt Stricker (s. Anm.45), 263ff. sowie
Baumgartner (s. Anm. 105), 145ff., der „De iusta Reipublicae“ über Gebühr hoch be-
wertet. Wie bei Boucher ist die Disposition der sehr umfangreichen Schrift nur müh-
sam durchgehalten, die Argumente werden in oft verwirrendem Durcheinander vor-
getragen. Vgl. zu Rossaeus auch Vahle, Boucher (s. Anm. 105), 341ff.
115 Als „Generalis Coronae ac Status Gallicani sacraeque Catholicorum contra haereticos
Unionis atque foederis praefectus et propugnator“ bezeichnet.
 
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