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Albrecht Dihle
Kommentatoren als „Schauspielerinterpolation“ identifiziert worden
ist, stand eben schon in voralexandrinischer Zeit im Tragikertext, als
solche aus der Bühnenpraxis stammenden Zusätze noch leicht und un-
kontrolliert in die durch den Buchhandel verbreiteten Lesetexte gera-
ten konnten.
Alles also scheint darauf hinzudeuten, daß mit der Tätigkeit der alex-
andrinischen Philologen der Einfluß der Bühnenpraxis auf die Gestalt
des Tragikertextes, der im 4. Jh. v. C. recht hoch zu veranschlagen ist,
ein für alle Mal zu Ende war. Spätestens seit der großen Ausgabe des
Aristophanes wurden vielmehr die Tragödien der drei Großen als Lese-
text für Schule und Haus überliefert, so viele Zwischenglieder man auch
zwischen jener wissenschaftlichen Gesamtausgabe und den zahlreichen
- verschollenen, erhaltenen oder erschließbaren - Auswahlausgaben
auch anzunehmen hat. Verderbnisse, die der Text auch in dieser Phase
gewiß erleben mußte, wären dann auf Verschreibungen, Auslassungen,
in den Text geratene Zusätze gelehrter oder ungelehrter Leser12 u. ä.
zurückzuführen, nicht aber auf Überarbeitungen, denen man ein Stück
zum Zweck seiner Wiederaufführung unterzog.
Dieses heute wohl weithin anerkannte Bild von der Textgeschichte
der Tragiker bis zum Ausgang der Antike, das hier nur in großen Zügen
nachgezeichnet wurde, müßte erheblich revidiert werden, wenn man in
den erhaltenen Tragödien Interpolationen nachweisen könnte, die so-
wohl mit großer Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang der Auffüh-
rungspraxis stehen als auch mit ebensolcher Wahrscheinlichkeit in spät-
hellenistische oder römische Zeit zu datieren sind.
Die Untersuchung des Bacchen-Prologes hat nun in der Tat ergeben,
daß man mit der Möglichkeit später, d. h. erst in hellenistischer oder rö-
mischer Zeit verfaßter und in den Text eingedrungener Schauspielerin-
terpolationen rechnen muß. Der Überblick über eine Gruppe literari-
scher, epigraphischer und papyrologischer Zeugnisse für die Bühnen-
praxis derselben Periode hat ferner zeigen können, daß die üblichen
Bearbeitungen eines dramatischen Textes für eine Wiederaufführung
damals nicht notwendigerweise ein ganzes Drama erfaßten, sondern
sich durchaus auf eine Einzelpartie - sei es nun einem Botenbericht, ei-
den Homer-Papyri erwiesen wird. Vgl. S. West, The Ptolemaic Papyri of Homer,
Köln 1967.
12 E. Fraenkel hat gezeigt, daß gelegentlich Sentenzen in den Euripides-Text geraten
sind, die ein an Gnomik interessierter Leser aus einem Florilegium an den Rand in-
haltlich ähnlicher Passagen notiert hatte (Eranos 44, 1946, 8ff.).
Albrecht Dihle
Kommentatoren als „Schauspielerinterpolation“ identifiziert worden
ist, stand eben schon in voralexandrinischer Zeit im Tragikertext, als
solche aus der Bühnenpraxis stammenden Zusätze noch leicht und un-
kontrolliert in die durch den Buchhandel verbreiteten Lesetexte gera-
ten konnten.
Alles also scheint darauf hinzudeuten, daß mit der Tätigkeit der alex-
andrinischen Philologen der Einfluß der Bühnenpraxis auf die Gestalt
des Tragikertextes, der im 4. Jh. v. C. recht hoch zu veranschlagen ist,
ein für alle Mal zu Ende war. Spätestens seit der großen Ausgabe des
Aristophanes wurden vielmehr die Tragödien der drei Großen als Lese-
text für Schule und Haus überliefert, so viele Zwischenglieder man auch
zwischen jener wissenschaftlichen Gesamtausgabe und den zahlreichen
- verschollenen, erhaltenen oder erschließbaren - Auswahlausgaben
auch anzunehmen hat. Verderbnisse, die der Text auch in dieser Phase
gewiß erleben mußte, wären dann auf Verschreibungen, Auslassungen,
in den Text geratene Zusätze gelehrter oder ungelehrter Leser12 u. ä.
zurückzuführen, nicht aber auf Überarbeitungen, denen man ein Stück
zum Zweck seiner Wiederaufführung unterzog.
Dieses heute wohl weithin anerkannte Bild von der Textgeschichte
der Tragiker bis zum Ausgang der Antike, das hier nur in großen Zügen
nachgezeichnet wurde, müßte erheblich revidiert werden, wenn man in
den erhaltenen Tragödien Interpolationen nachweisen könnte, die so-
wohl mit großer Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang der Auffüh-
rungspraxis stehen als auch mit ebensolcher Wahrscheinlichkeit in spät-
hellenistische oder römische Zeit zu datieren sind.
Die Untersuchung des Bacchen-Prologes hat nun in der Tat ergeben,
daß man mit der Möglichkeit später, d. h. erst in hellenistischer oder rö-
mischer Zeit verfaßter und in den Text eingedrungener Schauspielerin-
terpolationen rechnen muß. Der Überblick über eine Gruppe literari-
scher, epigraphischer und papyrologischer Zeugnisse für die Bühnen-
praxis derselben Periode hat ferner zeigen können, daß die üblichen
Bearbeitungen eines dramatischen Textes für eine Wiederaufführung
damals nicht notwendigerweise ein ganzes Drama erfaßten, sondern
sich durchaus auf eine Einzelpartie - sei es nun einem Botenbericht, ei-
den Homer-Papyri erwiesen wird. Vgl. S. West, The Ptolemaic Papyri of Homer,
Köln 1967.
12 E. Fraenkel hat gezeigt, daß gelegentlich Sentenzen in den Euripides-Text geraten
sind, die ein an Gnomik interessierter Leser aus einem Florilegium an den Rand in-
haltlich ähnlicher Passagen notiert hatte (Eranos 44, 1946, 8ff.).