Sinologische Anmerkungen
11
letzte Wirklichkeit sei, schien ihm darum im Sinne des Wortes wert-los
zu sein8.
Mit diesen Bemerkungen sei ein Hinweis gegeben, wie schon im An-
satz abstraktes Philosophieren im antiken China zerläuft. Es kam also
dem chinesischen „zoon politikon“ primär gar nicht darauf an, die
„alätheia“ zu entdecken und zu verstehen, sondern das „dikaion“ und
das „agathon“ zu erreichen.
2. Ein zweiter Vorgang ist in der Herausbildung einer vielleicht schon
adäquat philosophischen Theorie zu sehen, man kann kaum von einer
eigenen Schule sprechen, auch wenn sie in China die besondere Be-
zeichnung der „mystischen (oder dunklen) Lehre“ erhalten hat, was die
westlichen Philosophiehistoriker als Neo-Taoismus glaubten bezeich-
nen zu können. Dies spielt sich zeitlich im 3. und 4. Jh. nach Christus
ab, wohl in der Folge eines Kulturschocks, den das geistige China nach
dem Zusammenbruch der Han-Dynastie 220 erfahren hat. Für eine
Reihe von Jahrzehnten wechselten Aufstände und regionale Macht-
kämpfe einander ab, bis nach einer kurzen Zusammenfassung der Kräf-
te ein Einbruch zentralasiatischer Reitervölker China für zweieinhalb
Jahrhunderte auf den Süden verwies, während der Norden wechselnden
Stammesherrschaften unterlag.
Eine kleine und hoch kompetente Gruppe von Denkern und Dich-
tern suchte in der Auslegung des skeptisch-mystischen Taoisten
Zhuangzi (s. o.) eine natur-gemäße und der Gesellschaft abholde inne-
re Freiheit zu gewinnen, die sie gegen Cliquenwirtschaft und Gewaltpo-
litik ausspielen wollten. In diesem Rahmen kam es zu einer neuen (ich
spreche in Analogien) ontologisch-metaphysischen Weltschau, die von
dem Begriff des Nicht-seienden WU ausging, das als Hintergrund alles
Seienden verstanden wurde und das Seiende YOU durch ein dem Äther
ähnliches Fluidum in die Welt kommen ließ. Von einer creatio ist
gleichwohl nicht die Rede, sondern eher von einem aus sich selbst Her-
vorgehen, wobei das WU zwar die Stelle des Seinsbegriffes einnimmt,
jedoch im Sinne dieses Negationswortes WU: es heißt ja zunächst nur
„nicht-vorhanden-sein“ und signalisiert die Abwesenheit bzw. Uner-
kennbarkeit von Irgendetwas, das Fluidum als Gegebenes, Seiendes
wird hier zum entscheidenden Faktor. Jenes Fluidum schafft nämlich
die Erscheinungen und die Dinge wie in wechselseitigen Atemzügen,
die man mit den Namen Yin und Yang belegt, wobei alles Gewordene
zum Werden zurückkehrt, ein großer Kreislauf der Wandlungen, wie
8 Xünzi Kap. 22, s. a. Hermann Köster tr. , Hsüntse, Kaldenkirchen 1967, Kap. XXII.
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letzte Wirklichkeit sei, schien ihm darum im Sinne des Wortes wert-los
zu sein8.
Mit diesen Bemerkungen sei ein Hinweis gegeben, wie schon im An-
satz abstraktes Philosophieren im antiken China zerläuft. Es kam also
dem chinesischen „zoon politikon“ primär gar nicht darauf an, die
„alätheia“ zu entdecken und zu verstehen, sondern das „dikaion“ und
das „agathon“ zu erreichen.
2. Ein zweiter Vorgang ist in der Herausbildung einer vielleicht schon
adäquat philosophischen Theorie zu sehen, man kann kaum von einer
eigenen Schule sprechen, auch wenn sie in China die besondere Be-
zeichnung der „mystischen (oder dunklen) Lehre“ erhalten hat, was die
westlichen Philosophiehistoriker als Neo-Taoismus glaubten bezeich-
nen zu können. Dies spielt sich zeitlich im 3. und 4. Jh. nach Christus
ab, wohl in der Folge eines Kulturschocks, den das geistige China nach
dem Zusammenbruch der Han-Dynastie 220 erfahren hat. Für eine
Reihe von Jahrzehnten wechselten Aufstände und regionale Macht-
kämpfe einander ab, bis nach einer kurzen Zusammenfassung der Kräf-
te ein Einbruch zentralasiatischer Reitervölker China für zweieinhalb
Jahrhunderte auf den Süden verwies, während der Norden wechselnden
Stammesherrschaften unterlag.
Eine kleine und hoch kompetente Gruppe von Denkern und Dich-
tern suchte in der Auslegung des skeptisch-mystischen Taoisten
Zhuangzi (s. o.) eine natur-gemäße und der Gesellschaft abholde inne-
re Freiheit zu gewinnen, die sie gegen Cliquenwirtschaft und Gewaltpo-
litik ausspielen wollten. In diesem Rahmen kam es zu einer neuen (ich
spreche in Analogien) ontologisch-metaphysischen Weltschau, die von
dem Begriff des Nicht-seienden WU ausging, das als Hintergrund alles
Seienden verstanden wurde und das Seiende YOU durch ein dem Äther
ähnliches Fluidum in die Welt kommen ließ. Von einer creatio ist
gleichwohl nicht die Rede, sondern eher von einem aus sich selbst Her-
vorgehen, wobei das WU zwar die Stelle des Seinsbegriffes einnimmt,
jedoch im Sinne dieses Negationswortes WU: es heißt ja zunächst nur
„nicht-vorhanden-sein“ und signalisiert die Abwesenheit bzw. Uner-
kennbarkeit von Irgendetwas, das Fluidum als Gegebenes, Seiendes
wird hier zum entscheidenden Faktor. Jenes Fluidum schafft nämlich
die Erscheinungen und die Dinge wie in wechselseitigen Atemzügen,
die man mit den Namen Yin und Yang belegt, wobei alles Gewordene
zum Werden zurückkehrt, ein großer Kreislauf der Wandlungen, wie
8 Xünzi Kap. 22, s. a. Hermann Köster tr. , Hsüntse, Kaldenkirchen 1967, Kap. XXII.