Sinologische Anmerkungen
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standen, sie wird infolge des Daseinsdurstes der Lebewesen immer wie-
der in Gang gesetzt, das führt in die als leidvoll erlebte Existenz und de-
ren steter Fortsetzung, wenn nicht an einem Punkt die Kette durchbro-
chen wird, nämlich in der Bewußtwerdung der existentiellen Leidens-
kette, im Aufweis des Weges, der zur Aufhebung des Leidens führen
kann, und in der Ansammlung von Verdienst zur Erreichung des leidlo-
sen, existenzlosen Seins, welches als Nirvana, Verlöschen aller Existenz
umschrieben wird. Diesem wahren Sein, das wieder in einer Negation
gefaßt wird, worin Indien und China einander nahe sind, steht das leib-
liche Dasein mit seinen Sinneseindrücken als Scheinwelt gegenüber, als
Leeres, als letztlich Unwirkliches. Noch das Denken darüber wird als
leer bezeichnet, nicht in allen Schulen; aber im Zen, in der meditativen
Innewerdung des Absoluten im Blitzschlag der Erleuchtung, wird die
letzte Konsequenz gezogen - damit wird in der Bewußtwerdung des
Nichts wieder alles möglich. In der letzten Ausschaltung von Welt ge-
winnt weltliches Dasein wieder Raum, sozusagen in totaler Verfügbar-
keit, und der der Welt Erstorbene tritt ihr gegenüber, gleichsam traum-
haft, in einer Bewußtheit des Nicht-Ich, den Dingen nicht anhaftend,
auf den Tod gefaßt. Der Tod ist ja nur noch ein Vollzug des schon Voll-
zogenen. Der japanische Kriegeradel ist hiervon tief erfaßt worden. Pa-
rallelen zu den Neo-Taoisten legen sich nahe, Zhuangzi wird zum Vor-
bild für Zen-Adepten, auch die Ästhetik empfängt von hier aus neue
Impulse, Spontaneität der Verwirklichung des Unwirklichen wird zum
Inbegriff der Zen-Malerei. - Soweit die drei historisch zu sehenden Mo-
mentaufnahmen einer Herausbildung von chinesisch-ostasiatischem
Denken, das wir in Analogie zum europäischen Philosophiebegriff zur
Kenntnis nehmen, denn wir sind es ja, die wir uns die Aspekte heraus-
greifen, die uns interessieren, sei es als Bestätigung, sei es als vermutete
Ergänzung. Wir verlieben uns gleichsam in den einen oder anderen Ge-
danken, weil er Überraschendes, uns tief Anmutendes anzeigt, weil er
in modische Tendenzen unserer Moderne hineinzuwirken scheint.
Wir sollten uns aber bewußt bleiben, daß diese Gedanken in China
selbst nicht weitergetragen, allenfalls halbverborgen Einfluß ausgeübt
haben, und daß sie auch in Japan, wo etwa das Zen noch lebendig wirkt,
nicht zum zentralen Bestand gehören, sondern von dem Hauptstrom
des im ganzen doch welt-zugewandten Vergewisserungsglaubens des
populären Buddhismus, des Shintö und der zahlreichen neuen Religio-
nen überspült worden ist. Und das Interesse an erkenntniskritischen
und metaphysischen Aussagen ist nur zum Teil ein in Ostasien vorhal-
tendes (etwa in der modernen neo-konfuzianischen Philosophie), im
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standen, sie wird infolge des Daseinsdurstes der Lebewesen immer wie-
der in Gang gesetzt, das führt in die als leidvoll erlebte Existenz und de-
ren steter Fortsetzung, wenn nicht an einem Punkt die Kette durchbro-
chen wird, nämlich in der Bewußtwerdung der existentiellen Leidens-
kette, im Aufweis des Weges, der zur Aufhebung des Leidens führen
kann, und in der Ansammlung von Verdienst zur Erreichung des leidlo-
sen, existenzlosen Seins, welches als Nirvana, Verlöschen aller Existenz
umschrieben wird. Diesem wahren Sein, das wieder in einer Negation
gefaßt wird, worin Indien und China einander nahe sind, steht das leib-
liche Dasein mit seinen Sinneseindrücken als Scheinwelt gegenüber, als
Leeres, als letztlich Unwirkliches. Noch das Denken darüber wird als
leer bezeichnet, nicht in allen Schulen; aber im Zen, in der meditativen
Innewerdung des Absoluten im Blitzschlag der Erleuchtung, wird die
letzte Konsequenz gezogen - damit wird in der Bewußtwerdung des
Nichts wieder alles möglich. In der letzten Ausschaltung von Welt ge-
winnt weltliches Dasein wieder Raum, sozusagen in totaler Verfügbar-
keit, und der der Welt Erstorbene tritt ihr gegenüber, gleichsam traum-
haft, in einer Bewußtheit des Nicht-Ich, den Dingen nicht anhaftend,
auf den Tod gefaßt. Der Tod ist ja nur noch ein Vollzug des schon Voll-
zogenen. Der japanische Kriegeradel ist hiervon tief erfaßt worden. Pa-
rallelen zu den Neo-Taoisten legen sich nahe, Zhuangzi wird zum Vor-
bild für Zen-Adepten, auch die Ästhetik empfängt von hier aus neue
Impulse, Spontaneität der Verwirklichung des Unwirklichen wird zum
Inbegriff der Zen-Malerei. - Soweit die drei historisch zu sehenden Mo-
mentaufnahmen einer Herausbildung von chinesisch-ostasiatischem
Denken, das wir in Analogie zum europäischen Philosophiebegriff zur
Kenntnis nehmen, denn wir sind es ja, die wir uns die Aspekte heraus-
greifen, die uns interessieren, sei es als Bestätigung, sei es als vermutete
Ergänzung. Wir verlieben uns gleichsam in den einen oder anderen Ge-
danken, weil er Überraschendes, uns tief Anmutendes anzeigt, weil er
in modische Tendenzen unserer Moderne hineinzuwirken scheint.
Wir sollten uns aber bewußt bleiben, daß diese Gedanken in China
selbst nicht weitergetragen, allenfalls halbverborgen Einfluß ausgeübt
haben, und daß sie auch in Japan, wo etwa das Zen noch lebendig wirkt,
nicht zum zentralen Bestand gehören, sondern von dem Hauptstrom
des im ganzen doch welt-zugewandten Vergewisserungsglaubens des
populären Buddhismus, des Shintö und der zahlreichen neuen Religio-
nen überspült worden ist. Und das Interesse an erkenntniskritischen
und metaphysischen Aussagen ist nur zum Teil ein in Ostasien vorhal-
tendes (etwa in der modernen neo-konfuzianischen Philosophie), im