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Grimm, Tilemann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 7. Abhandlung): Sinologische Anmerkungen zum europäischen Philosophiebegriff — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47800#0020
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Tilemann Grimm

jektiven den Vorzug geben und das Feld des Objektiven erst daraufhin
ins Auge fassen.
Eine Reihe von zentralen ethischen Wertbegriffen bezeichnet dem-
entsprechend weniger objektivierbare Werte als vielmehr subjektive
Werthaltungen. „Menschlichkeit“ etwa, ein so zentraler Begriff bei
Konfuzius, ist ein menschlich-gütiges Bewußtsein, das in seiner ur-
sprünglichen Auffassung offenbar meditativ angeeignet und dann aus-
gestrahlt werden konnte - in der neokonfuzianischen Einschätzung
wird dieser Begriff ins Kosmische zu einer All-liebe ausgeweitet. „Ge-
rechtigkeit“ ist eher Rechtlichkeit, rechtliche Gesinnung, Pflichtbe-
wußtsein, Moralität - die Aufständischen vieler Jahrhunderte, die an-
geblich Gerechtigkeit auf ihr Banner geschrieben hatten, scheinen da-
her eher auf die Durchsetzung und Verbreitung eines auf Gerechtigkeit
ausgehenden Bewußtseins gedrungen zu haben, das allemal erst Ge-
rechtigkeit schaffen konnte, in einer Kultur zumal, wo Rechtsnormen
weniger gefragt waren als das gerechte Vorbild. „Riten“, objektivierte-
ste Form heiligmäßiger Handlungen mit den genauesten Vorschriften
und Regeln, sie stimmen nur dann, sagte Konfuzius, wenn sie mit auf-
richtiger Gesinnung durchgeführt werden. Und der chinesische Begriff
für Vertrauen, ja, Glaube, im Schriftzeichen so suggestiv aus den Be-
standteilen „Mann“ und „Wort“ zusammengesetzt, heißt genauer „Ver-
trauenswürdigkeit“, offenbar auch etwas, das einer nach außen hin aus-
strahlt. Und der Tugendbegriff nicht minder, Ausstrahlungskraft ist hier
im Spiel, ein plausibel klingender Deutungsversuch des betreffenden
Schriftzeichens zeigt ein Auge als Bestandteil, das strahlende, überwin-
dende Auge. - Diese Beispiele stammen aus dem zentralen Wertekata-
log der Konfuzianer, sie unterstützen die These vom Vorrang eines
Verhaltensbewußtseins vor der Beschäftigung mit dem Sein, und dies
wiederum zur Stützung eines allemal ethischen Bewußtseins. Sowohl
die taoistische Spekulation als auch vor allem die buddhistische Philoso-
phie haben sich mit Vorzug den Fragen des Bewußtwerdens zugewen-
det, man denke allein an die Erleuchtungsproblematik bei den Adepten
des Zen.
Der buddhistische Meditierende bereitete sich über die Negation al-
ler Realitätsstufen auf das Verlöschen der Existenz vor, moralische
Vorschriften oder Verpflichtungen dienten diesem Zweck. Dem traten
seit dem 10./11. Jhdt. immer deutlichere Kritiken der Neo-Konfuzianer
entgegen - wir nennen sie so, weil die konfuzianische Schule nach Jahr-
hunderten der Stagnation um die genannte Zeit eine kräftige Neubele-
bung erfuhr. Die Vervollkommnung des Menschen war zwar das Anlie-
 
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