Antike Spuren im Tübinger Wappen
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und den davon abgeleiteten Wappen heute gern von einem 'Gonfalon’
spricht, womit in Frankreich die meiirfach-(meist drei-)geteilte Fahne
schlechthin bezeichnet wird, die ja ursprünglich auch waagrecht am
Lanzenschaft wehte38, so sind damit die vorgenommenen Veränderun-
gen ebenfalls nicht erklärt. Wir fragen uns also mit gutem Recht, ja mit
Notwendigkeit: wze hat man bei der als Wappen verwendeten Pfalz-
grafenfahne die Senkrechtstellung, dazu die singulären drei Ringe und die
erst recht merkwürdigen ausgefransten Enden der drei Lappen zu ver-
stehen? Wenn wir uns an die Entstehung des Pappenheimer Mohren-
kopf-Wappens erinnern, das aus dem Abdruck bzw. der Nachbildung
eines vorgegebenen römischen Kaiserporträtkopfes herkommt und in
der Folge kurios umgedeutet wurde, so bietet sich uns auch hier eine
methodisch vergleichbare Erklärung an.
Schon vor etwa einem Jahrzehnt fiel mir die frappante Ähnlichkeit
der meisten alten Ausfertigungen des Tübinger Wappens mit dem
Münzbild der Incusenprägung von Kroton in Unteritalien aus der
Wende vom 6. zum 5. vorchristlichen Jahrhundert auf39 (Abb. 16 u. 17).
Dort geht es natürlich nicht um eine Fahne, sondern um den Dreifuß
des Gottes Apollon. Das Gerät weist oben die drei Ringhenkel zum
Tragen auf, und seine drei Beine enden in Löwenfüße40. Ein naiver
Beobachter des Münzbildes von Kroton konnte im 12. Jahrhundert
sehr wohl das Ganze für eine Fahne halten, deren Dreiteilung ja da-
mals, wie wir sahen, schon geläufig war. Die Trageringe wurden in sei-
S. 161). Auch dieses Wappen wurde mit geringer Veränderung der Farben von
der zugehörigen Stadt Würzburg übernommen. Ebenso fuhrt heute der Landkreis
Tübingen die dreigeteilte Latzfahne am Schaft in der gleichen Stellung im Schild
als Wappen (Abb. 15).
38 Dazu oben S. 16 mit Anm. 30. Jequier aO., S. 28, der dies besonders betont,
spricht bei der Fahne, wo die Hauptachse senkrecht verläuft, lieber von einem Ban-
ner und merkt an, daß überhaupt „ein wappenzeigender Gonfanon die Ausnahme
darstellt“ (s. jedoch die 4 von ihm unter Nr. 691 auf S. 254 abgebildeten „Gon-
fanons nach Siegeln von ungefähr 1200“, die durchweg einen Adler als Wappen-
bild zeigen).
39 Nach Giov. Gorini, La monetazione incusa della Magna Grecia (1975), S. 20 be-
ginnt die Incusenprägung in Kroton um 530 v. Chr. Die Incusenmünzen zeigen das
Bild der Vs. auf der Rs. vertieft. Aber im Gegensatz zu den mittelalterlichen Brak-
teaten ist diese Rs. mit eigenem Stempel geprägt, so daß sie eine Art Siegelform
gewinnt. Die Prägung von Incusenmünzen ist eine Besonderheit der unteritalischen
Griechenstädte von ca. 550 bis 480 v. Chr.
40 Zu diesen schon früh eingebürgerten Kennzeichen der auf antiken Denkmälern
abgebildeten Dreifüße s. E. Reisch in der RE V 1905, S. 1669f.
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und den davon abgeleiteten Wappen heute gern von einem 'Gonfalon’
spricht, womit in Frankreich die meiirfach-(meist drei-)geteilte Fahne
schlechthin bezeichnet wird, die ja ursprünglich auch waagrecht am
Lanzenschaft wehte38, so sind damit die vorgenommenen Veränderun-
gen ebenfalls nicht erklärt. Wir fragen uns also mit gutem Recht, ja mit
Notwendigkeit: wze hat man bei der als Wappen verwendeten Pfalz-
grafenfahne die Senkrechtstellung, dazu die singulären drei Ringe und die
erst recht merkwürdigen ausgefransten Enden der drei Lappen zu ver-
stehen? Wenn wir uns an die Entstehung des Pappenheimer Mohren-
kopf-Wappens erinnern, das aus dem Abdruck bzw. der Nachbildung
eines vorgegebenen römischen Kaiserporträtkopfes herkommt und in
der Folge kurios umgedeutet wurde, so bietet sich uns auch hier eine
methodisch vergleichbare Erklärung an.
Schon vor etwa einem Jahrzehnt fiel mir die frappante Ähnlichkeit
der meisten alten Ausfertigungen des Tübinger Wappens mit dem
Münzbild der Incusenprägung von Kroton in Unteritalien aus der
Wende vom 6. zum 5. vorchristlichen Jahrhundert auf39 (Abb. 16 u. 17).
Dort geht es natürlich nicht um eine Fahne, sondern um den Dreifuß
des Gottes Apollon. Das Gerät weist oben die drei Ringhenkel zum
Tragen auf, und seine drei Beine enden in Löwenfüße40. Ein naiver
Beobachter des Münzbildes von Kroton konnte im 12. Jahrhundert
sehr wohl das Ganze für eine Fahne halten, deren Dreiteilung ja da-
mals, wie wir sahen, schon geläufig war. Die Trageringe wurden in sei-
S. 161). Auch dieses Wappen wurde mit geringer Veränderung der Farben von
der zugehörigen Stadt Würzburg übernommen. Ebenso fuhrt heute der Landkreis
Tübingen die dreigeteilte Latzfahne am Schaft in der gleichen Stellung im Schild
als Wappen (Abb. 15).
38 Dazu oben S. 16 mit Anm. 30. Jequier aO., S. 28, der dies besonders betont,
spricht bei der Fahne, wo die Hauptachse senkrecht verläuft, lieber von einem Ban-
ner und merkt an, daß überhaupt „ein wappenzeigender Gonfanon die Ausnahme
darstellt“ (s. jedoch die 4 von ihm unter Nr. 691 auf S. 254 abgebildeten „Gon-
fanons nach Siegeln von ungefähr 1200“, die durchweg einen Adler als Wappen-
bild zeigen).
39 Nach Giov. Gorini, La monetazione incusa della Magna Grecia (1975), S. 20 be-
ginnt die Incusenprägung in Kroton um 530 v. Chr. Die Incusenmünzen zeigen das
Bild der Vs. auf der Rs. vertieft. Aber im Gegensatz zu den mittelalterlichen Brak-
teaten ist diese Rs. mit eigenem Stempel geprägt, so daß sie eine Art Siegelform
gewinnt. Die Prägung von Incusenmünzen ist eine Besonderheit der unteritalischen
Griechenstädte von ca. 550 bis 480 v. Chr.
40 Zu diesen schon früh eingebürgerten Kennzeichen der auf antiken Denkmälern
abgebildeten Dreifüße s. E. Reisch in der RE V 1905, S. 1669f.