P. J. Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht
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Daß das Strafrecht gewissen Begehrungen des Menschen eine Vor-
stellung des Verbotenen, der Sanktion und der Unlust beigibt, ist
freilich weder eine Eigentümlichkeit der Lehre Feuerbachs noch ein
besonders erwähnenswerter Gedanke. Was ihn aber für Feuerbach so
wichtig macht, ist die Ausschließlichkeit, mit der er diesen Straf-
rechtszweck verfolgt, sowie der Grund dafür, warum er ihn so aus-
schließlich verfolgt.
Ich grenze zunächst negativ ab:
Die gegensteuemd-neutralisierende Wirkung führt bei Feuerbach
zu keiner Konfliktslage zwischen Pflicht und Neigung, wie sie Kant
in seiner „Metaphysik der Sitten“43 vorformulierte. Das kantische
Subjekt steht in praktischer Hinsicht vor der Alternative, entweder
der Pflicht zu folgen (und darin frei zu sein) oder den Antrieben
der Sinnlichkeit, d.h. der durch Notwendigkeit verknüpften Erschei-
nungswelt des Aposteriorischen.
Feuerbach denkt anders. Der Konflikt stellt sich ihm nur und aus-
schließlich innerhalb von Neigungen dar, und von einer Pflicht,
welche auf Freiheit zielt, ist bei ihm im Felde des Rechtlichen, des
Strafrechtlichen wenigstens, nirgends die Rede. Der Zwawgscharakter
des Strafrechts, wie ihn Feuerbach voraussetzte, verträgt sich nicht
mit einer selbständigen Abwägung des Rechtsunterworfenen zwischen
Pflicht und Neigung. Aus dieser nur beiläufig und unbedeutend
scheinenden Differenz zu Kant ergibt sich doch eine schwerwiegende
Abweichung im Grundsätzlichen, so schwerwiegend, daß in Frage
43 Z. B. Kant, Metaphysik der Sitten, AB 5 (Weischedel IV S. 317). In seiner „Kri-
tik des natürlichen Rechts“ (o. Anm. 32) von 1796 (S. 241-243, 247, 258-261,
269, 274) hatte Feuerbach einige Ausführungen der „Metaphysik der Sitten“ vor-
weggenommen, insbesondere den Gedanken der Rechtssetzung durch die reine
praktische Vernunft, der allerdings in Kants „Grundlegung der Metaphysik der
Sitten“ von 1785 (BA 62, 63 (Weischedel IV S. 58)) schon angelegt war.
Gerade dieser Gedankengang hatte Kant zur Vorherrschaft der Vernunft über das
(nur) gesetzte Recht geführt. Feuerbach verfolgte ihn nicht mit derselben Kon-
sequenz. Schon in der „Kritik des natürlichen Rechts“ selbst wich er vorweisend
wieder ab, indem er ausführte, daß die Vernunft in der Welt der Erscheinun-
gen keine Kausalität habe. In „Philosophie und Empirie“ (o. Anm. 8), S. 65,
„versöhnt“ Feuerbach Vemunftgesetz und positives Gesetz mehr poetisch als der
Sache nach. Zu einer Wendung Feuerbachs mit zunehmendem Alter von der
Philosophie zur „Empirie“: Radbruch, Gestalten und Gedanken, 1944, S. 169
und: Feuerbach-Gedenkrede (o. Anm. 36), S. 11; Naucke, ZStW 87 (1975), S. 866.
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Daß das Strafrecht gewissen Begehrungen des Menschen eine Vor-
stellung des Verbotenen, der Sanktion und der Unlust beigibt, ist
freilich weder eine Eigentümlichkeit der Lehre Feuerbachs noch ein
besonders erwähnenswerter Gedanke. Was ihn aber für Feuerbach so
wichtig macht, ist die Ausschließlichkeit, mit der er diesen Straf-
rechtszweck verfolgt, sowie der Grund dafür, warum er ihn so aus-
schließlich verfolgt.
Ich grenze zunächst negativ ab:
Die gegensteuemd-neutralisierende Wirkung führt bei Feuerbach
zu keiner Konfliktslage zwischen Pflicht und Neigung, wie sie Kant
in seiner „Metaphysik der Sitten“43 vorformulierte. Das kantische
Subjekt steht in praktischer Hinsicht vor der Alternative, entweder
der Pflicht zu folgen (und darin frei zu sein) oder den Antrieben
der Sinnlichkeit, d.h. der durch Notwendigkeit verknüpften Erschei-
nungswelt des Aposteriorischen.
Feuerbach denkt anders. Der Konflikt stellt sich ihm nur und aus-
schließlich innerhalb von Neigungen dar, und von einer Pflicht,
welche auf Freiheit zielt, ist bei ihm im Felde des Rechtlichen, des
Strafrechtlichen wenigstens, nirgends die Rede. Der Zwawgscharakter
des Strafrechts, wie ihn Feuerbach voraussetzte, verträgt sich nicht
mit einer selbständigen Abwägung des Rechtsunterworfenen zwischen
Pflicht und Neigung. Aus dieser nur beiläufig und unbedeutend
scheinenden Differenz zu Kant ergibt sich doch eine schwerwiegende
Abweichung im Grundsätzlichen, so schwerwiegend, daß in Frage
43 Z. B. Kant, Metaphysik der Sitten, AB 5 (Weischedel IV S. 317). In seiner „Kri-
tik des natürlichen Rechts“ (o. Anm. 32) von 1796 (S. 241-243, 247, 258-261,
269, 274) hatte Feuerbach einige Ausführungen der „Metaphysik der Sitten“ vor-
weggenommen, insbesondere den Gedanken der Rechtssetzung durch die reine
praktische Vernunft, der allerdings in Kants „Grundlegung der Metaphysik der
Sitten“ von 1785 (BA 62, 63 (Weischedel IV S. 58)) schon angelegt war.
Gerade dieser Gedankengang hatte Kant zur Vorherrschaft der Vernunft über das
(nur) gesetzte Recht geführt. Feuerbach verfolgte ihn nicht mit derselben Kon-
sequenz. Schon in der „Kritik des natürlichen Rechts“ selbst wich er vorweisend
wieder ab, indem er ausführte, daß die Vernunft in der Welt der Erscheinun-
gen keine Kausalität habe. In „Philosophie und Empirie“ (o. Anm. 8), S. 65,
„versöhnt“ Feuerbach Vemunftgesetz und positives Gesetz mehr poetisch als der
Sache nach. Zu einer Wendung Feuerbachs mit zunehmendem Alter von der
Philosophie zur „Empirie“: Radbruch, Gestalten und Gedanken, 1944, S. 169
und: Feuerbach-Gedenkrede (o. Anm. 36), S. 11; Naucke, ZStW 87 (1975), S. 866.