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Bohnert, Joachim; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1982, 2. Abhandlung): Paul Johann Anselm Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht — Heidelberg: Winter, 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.47805#0020
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Joachim Bohnert

Damit also die Zwangs-Abschreckungswirkung des Strafgesetzes im
Feuerbachischen Sinn ihn in der unendlichen Reihe der Kausal-
verknüpfungen überhaupt treffen kann, muß ihm wenigstens das Ver-
mögen einer alternativen Bestimmbarkeit durch das Gesetz zugeschrie-
ben werden49, sonst trägt das Gesetz allein die Verantwortung für
sein eigenes Scheitern. Feuerbach nennt dieses Vermögen „Will-
kür“50, als ein unfreies Vermögen zu reagieren51. Die Funktion dieses
Vermögens für die Theorie ist noch verständlich. Die Willkür ist
Ansatzpunkt der Zurechnung, gleichsam der Kampfplatz des Natur-
eines jeden vernünftigen Wesens und in jedem zur (apriorischen, d.h. nicht-
subjektiven) Normsetzung gedacht wird, während Feuerbach die Gesetzgebung,
infolgedessen auch die tätige, nicht bloß reflektierende Vernunft, in einen Ge-
setzgeber versetzt, dessen Akte konstitutiv, nicht bloß deklaratorisch sind. Damit
ist aber die Vernunft des Vemunftwesens selbst übertragen und - im Gebiet des
Rechts - endgültig als Möglichkeit zu einem objektiven Urteil zerstört. Woher
das letzte Vemunftwesen, der Gesetzgeber, seine Vernunft hat - die Gretchen-
frage des expliziten Positivismus - blieb schon bei Feuerbach offen.
49 Feuerbach (Revision I S. 154f.) unterscheidet einen reinen Begriff der Imputa-
tion (Zurechnung) einer Handlung; diese bezieht sich auf das freie Subjekt und
mißt Verdienst und Schuld, also Moralisches (S. 156). Wie schwer er sich tat,
dagegen den Begriff der strafrechtlichen Imputation aufzufmden und dagegen zu
setzen, zeigen seine Ausführungen S. 159ff.
50 Revision II S. 3745. Die „Willkür“ setzt sich aus drei Elementen zusammen:
1. Verstand (Erkenntnis des Gesetzes),
2. Urteilskraft (Subsumtion der Handlung unter das Gesetz),
3. Bestimmung des Begehrungsvermögens zu der Übertretung als Grund ihrer
Existenz.
Vgl. auch Revision II S. 125, 126, 147-149, 154, 318. Entscheidend für die
Zweifelhaftigkeit des Begriffs ist 3. Der „Willkür“-Begriff ist darüber hinaus des-
halb doppeldeutig, als Feuerbach nicht nur den Ansatzpunkt im Subjekt des
Rechtsunterworfenen damit bezeichnet, sondern auch (Revision I S. 178, 179,
II S. 22) den Grund der Setzung des positiven Rechts, also den Setzungsakt
selbst durch Willkür. Insofern kann auch für diesen Anti-Hobbes der Satz voluntas
non veritas facit legem gelten. Das verlangt Feuerbachs Begriff vom förmlichen,
d.h. förmlich-gesetzten Recht (Revision I S. 180). Ein ausdrücklicher Rückgriff
auf eine Vernunft im Gesetzgeber hätte wiederum die Trennung von Recht und
Moral gefährdet.
Daß der Gesetzgeber nicht absolut frei ist in seinem willkürlichen Anordnungs-
vorgang, das gehört zum einen Teil dem Staatsrecht an (vgL noch im Text später),
zum andern Teil der (philosophischen) Vorausbestimmung des Begriffes von
einem Strafgesetz überhaupt. Weil aber das Strafrecht aus dieser spekulativen
Verflechtung herausgehalten wird, benützt Feuerbach den Willen oder die Willkür
des Gesetzgebers als den letzten dunklen Punkt, als das absolut Gegebene und
Hinzunehmende. Daß er dennoch die Vernunft nicht ganz ausschalten möchte
(Revision I S. 180-183), setzt ihn vom Positivismus ab; aber es müssen „wo der
 
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