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Bohnert, Joachim; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1982, 2. Abhandlung): Paul Johann Anselm Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht — Heidelberg: Winter, 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.47805#0022
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Joachim Bohnert

sie gar nicht verstehen, denn eigentlich waren sie vor dem Strafrecht
so unfrei wie der Herr von Feuerbach selbst.
Man muß sich daher fragen, warum es Feuerbach so ausdrück-
lich am Herzen lag, die Freiheit aus der Rechtswissenschaft hinaus-
zudrängen. Der förmliche Begriff eines bestimmten Strafgesetzes
allein hätte nämlich dieses Hinausdrängen nicht verlangt. Ganz im
Gegenteil. Nach Kants Vorbild54 hätte doch die Abgrenzung der
verschiedenen Freiheitssphären gegeneinander das Bestimmtheits-
verlangen ebenso befriedigen können und einen Legitimationsgrund
dafür abgegeben, diese Grenze so deutlich wie möglich zu ziehen,
damit die Willkür der freien Einzelnen nach einem Rechtsgesetze
beieinander bestehen könnte. So gut wie alle Strafrechtstheoretiker
der Zeit hatten diesen Ausgangspunkt gewählt, sei es im Anschluß
an Kant oder - wie etwa der Marchese Beccaria55 - an die natur-
rechtlichen Gesellschaftsvertragstheorien des 17. und 18. Jahrhun-
derts56.
Warum nicht Feuerbach?
Die Antwort kann zunächst ganz knapp ausfallen: Feuerbach wollte
eine Vermengung von Recht und Moral vermeiden57. Moralität im
Recht war ihm ebenso verwerflich in ihrer Ausweitung unbestimmter

54 Kant, Metaphysik der Sitten, AB 32 (Weischedel IV S. 337); ähnlich Feuerbach,
Revision I S. 26 (in bezug auf „alles, was äußerlich recht“ ist). Die Stelle be-
zieht sich wiederum nicht auf die Wirkungsweise des Strafgesetzes, sondern auf
das allgemeine (rechtliche) Zusammenleben der Menschen.
55 Beccaria, Über Verbrechen und Strafen, 2. Aufl. hg. von Glaser, 1876, S. 25/26,
31. Von dieser Frage abgesehen, ist die Nähe Feuerbachs zu Beccaria der Sache
(nicht der Terminologie) nach größer als zu Kant. Ganz allgemein lag die Posi-
tion Feuerbachs zwischen dem aufgeklärten Naturrecht, was den Anspruch der
Theorie, und dem Positivismus, was den Anspruch der Gesetzesgeltung an-
langte: Eb. Schmidt (o. Anm. 11), S. 237; Cattaneo, Anselm Feuerbach. Filo-
sofo e giurista liberale, 1970, S. 474/475. Zu Beccaria: Würtenberger, Erinne-
rungsgabe für Max Grünhut, 1964, S. 199f.
56 Schreiber, Gesetz und Richter, 1976, S. 46f., 53 f.
57 Revision I S. XXII, 18f. Die Ahndung moralwidriger Handlungen gehört, wenn
überhaupt, in die Zuständigkeit der Polizei (Revision I S. 31, 294). Moralische
Strafe („Züchtigung“) ist „eine wirkliche Beleidigung, die der Staat an dem Be-
leidiger begeht“ (Revision I S. 32). „Ich kenne keinen Gedanken, der für die
Menschheit schrecklicher und demütigender wäre als dieser“ (Revision II S. 89).
 
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