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Joachim Bohnert
Hier also liegt die Grenze zwischen Philosophie und Empirie, und
in der Zusammengehörigkeit beider für Feuerbach der Grund dafür,
daß eine angemessene Beschäftigung mit dem Recht, d. h. wahrhafte
Rechtswissenschaft, nur im Verein beider stattfinden könne. In seiner
Landshuter Antrittsvorlesung von 1804 sagte Feuerbach hierzu:82
„Es gilt ja die Bearbeitung der positiven Rechtswissenschaft; also
darf bei ihr über dem Positiven nicht das Rechtliche, über dem Recht-
lichen nicht das Positive übersehen werden. Als Rechtswissenschaft
ist sie befreundet und verschwistert mit der Philosophie, als positive
Wissenschaft ist sie gebunden an das freundliche, heitere Land der
Erfahrung, auf welches sie die Philosophie zu sich herabziehen darf
und soll, ohne jedoch, verführt durch die stolzen Anmaßungen ihrer
erhabeneren Schwester, ihrem Vaterland untreu zu werden.“
Das ist, wie alles bei Feuerbach, schön gesagt. Aber es überredet
doch mehr als es überzeugt. Denn die Verwandtschaft der beiden un-
gleichen Schwestern bleibt ungewiß, auch ihre gemeinsame Abstam-
mung, und die Auseinanderfaltung der einen Sache bleibt in ihrem
Wesensgrund verborgen.
Der äußerliche Verknüpfungspunkt beider Seiten83 hatte sich im
bisherigen Gedankengang bei der Frage nach dem Bestimmtheits-
grundsatz im Strafrecht als die Grenze zwischen Notwendigkeit und
Freiheit gezeigt, mag deren Begründung auch nicht überzeugen.
Immerhin, die Bestimmtheit des Strafgesetzes war der eigentliche
Grund, warum der Machtspruch, die Vernunft müsse zugunsten der
gewissen Rechtserkenntnis zurücktreten, das positive Gesetz und seine
Begründung durch die psychologische Zwangstheorie verlangte. Und
es war ein Segen für die Sache selbst, daß Feuerbach Gelegenheit
hatte, allen Widerständen zum Trotz, seine Theorie der Bestimmtheit
auch in einem Gesetz auszuführen, das den Forderungen der Theorie
so genau und so vernünftig als ihm möglich entsprach.
82 Über Philosophie und Empirie, S. 64/65, 93. Strenger noch gegen „die An-
maßungen der Philosophie“: Revision I S. X; Über die Strafe, S. 87.
83 Döring (o. Anm. 44), S. 35, unterscheidet drei Perioden in Feuerbachs Theorie-
entwicklung. Ob dieses berechtigt ist, soll hier nicht weiter untersucht werden.
Vieles spricht dafür, daß Feuerbach auch in den späteren Phasen an den Grund-
legungen seiner Frühschriften festgehalten hat. Eine gewichtige Ausnahme ist die
Annahme einer materialen Gesetzgebungstätigkeit der praktischen Vernunft in
jedem vernünftigen Wesen. Die Folge dieser Annahme von Kontinuität wären
statt Brüchen der Entwicklung eben Brüche in der Theorie.
Joachim Bohnert
Hier also liegt die Grenze zwischen Philosophie und Empirie, und
in der Zusammengehörigkeit beider für Feuerbach der Grund dafür,
daß eine angemessene Beschäftigung mit dem Recht, d. h. wahrhafte
Rechtswissenschaft, nur im Verein beider stattfinden könne. In seiner
Landshuter Antrittsvorlesung von 1804 sagte Feuerbach hierzu:82
„Es gilt ja die Bearbeitung der positiven Rechtswissenschaft; also
darf bei ihr über dem Positiven nicht das Rechtliche, über dem Recht-
lichen nicht das Positive übersehen werden. Als Rechtswissenschaft
ist sie befreundet und verschwistert mit der Philosophie, als positive
Wissenschaft ist sie gebunden an das freundliche, heitere Land der
Erfahrung, auf welches sie die Philosophie zu sich herabziehen darf
und soll, ohne jedoch, verführt durch die stolzen Anmaßungen ihrer
erhabeneren Schwester, ihrem Vaterland untreu zu werden.“
Das ist, wie alles bei Feuerbach, schön gesagt. Aber es überredet
doch mehr als es überzeugt. Denn die Verwandtschaft der beiden un-
gleichen Schwestern bleibt ungewiß, auch ihre gemeinsame Abstam-
mung, und die Auseinanderfaltung der einen Sache bleibt in ihrem
Wesensgrund verborgen.
Der äußerliche Verknüpfungspunkt beider Seiten83 hatte sich im
bisherigen Gedankengang bei der Frage nach dem Bestimmtheits-
grundsatz im Strafrecht als die Grenze zwischen Notwendigkeit und
Freiheit gezeigt, mag deren Begründung auch nicht überzeugen.
Immerhin, die Bestimmtheit des Strafgesetzes war der eigentliche
Grund, warum der Machtspruch, die Vernunft müsse zugunsten der
gewissen Rechtserkenntnis zurücktreten, das positive Gesetz und seine
Begründung durch die psychologische Zwangstheorie verlangte. Und
es war ein Segen für die Sache selbst, daß Feuerbach Gelegenheit
hatte, allen Widerständen zum Trotz, seine Theorie der Bestimmtheit
auch in einem Gesetz auszuführen, das den Forderungen der Theorie
so genau und so vernünftig als ihm möglich entsprach.
82 Über Philosophie und Empirie, S. 64/65, 93. Strenger noch gegen „die An-
maßungen der Philosophie“: Revision I S. X; Über die Strafe, S. 87.
83 Döring (o. Anm. 44), S. 35, unterscheidet drei Perioden in Feuerbachs Theorie-
entwicklung. Ob dieses berechtigt ist, soll hier nicht weiter untersucht werden.
Vieles spricht dafür, daß Feuerbach auch in den späteren Phasen an den Grund-
legungen seiner Frühschriften festgehalten hat. Eine gewichtige Ausnahme ist die
Annahme einer materialen Gesetzgebungstätigkeit der praktischen Vernunft in
jedem vernünftigen Wesen. Die Folge dieser Annahme von Kontinuität wären
statt Brüchen der Entwicklung eben Brüche in der Theorie.