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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0068
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Walter Burkert

Auch von den Quellen her ist die Lage ähnlich wie im Fall der Leberschau:
auf griechischer Seite sind wir auf einzelne Anspielungen und kurze Hinweise,
oft auch auf späte Berichte angewiesen; dem stehen in der akkadischen Literatur
ganze Corpora von magischen Ritualtexten gegenüber, die freilich noch nicht voll-
ständig erschlossen sind5. Oft handelt es sich um zweisprachige, sumerisch-
akkadische Texte, was für ihr Alter spricht; doch waren sie vor allem in der Biblio-
thek Assurbanipals gesammelt. Einzelnes ist bis nach Tarsos gelangt6. Was die
Praktiker des Rituals betrifft, treten zwei Haupttypen hervor, der 'Seher’ bärü,
der für Mantik zuständig ist, und der eigentliche Zauberpriester, äsipu, dessen
Hauptaufgabe die Krankenheilung ist7. Auf ihn vor allem kommt es hier an.
Die kathartische Praktik der Griechen scheint sich auf die Reinigung des Mör-
ders von Blutschuld zu konzentrieren: Blut wird durch Blut gereinigt8, das Stan-
dardbeispiel des Mythos ist Orest; Aischylos allerdings setzt als noch 'früheres’
Paradigma Ixion an9. Wie man sich die Prozedur des näheren vorstellt, läßt im
Fall des Orestes Aischylos erkennen10: um die Befleckung 'auszuwaschen’ (μίασμα
έκπλυτον, 281), muß ein Ferkel so geschlachtet werden, daß sein Blut den Be-
fleckten überströmt; mit fließendem Wasser wird dann das Blut hinweggespült:
so ist die Befleckung 'vertrieben’, καϋαρμοΐς ήλάϋη χοιροκτόνοις (283). Daß das
Schmutzwasser, λύματα, dann seinerseits beseitigt werden muß, erfahren wir
schon in der Ilias11. Eindrucksvoll ist die Reinigung des Orestes auf einem apuli-
schen Glockenkrater im Louvre dargestellt, unmittelbar angeregt durch den Text

5 Liste in HKL III 85-93; gute Übersicht bei Meissner II (1925) 198-241; vgl. auch G. R. Ca-
stellino, La letteratura magica, in O. Botto (ed.), Storia delle letterature d’oriente I (1969)
227-38. Sammlungen von Bearbeitungen und Übersetzungen magischer Texte bei Zim-
mern (1901); Fossey (1902); Thompson (1903/4); Thureau-Dangin (1921); Ebeling (1931);
gut ediert sind die Sammlungen Maqlü (G. Meier 1937) und Surpu (E. Reiner 1958);
repräsentative Auswahl in Übersetzungen bei Castellino (1977) 519-743. In SAHG sind
oft nur die Gebete, nicht die Ritualanweisungen wiedergegeben.
6 A. Goetze, Cuneiform inscriptions from Tarsus, JAOS 59 (1939) 1-16, hier 11-15
(Amulett?).
Zimmern (1901) 82-93; Meissner II (1925) 64-6.
8 Heraklit B 5; die Formel φόνω φόνον Soph. OT 100; Eur. Here. 40; IT 1213; Or. 510; 816.
11 Aisch. Eum. 441; 718; Fr. 313-8 Mette; Waser RE X 1373-83; Ixion als ΗΙΞΙΩΝ, d.h.
assoziiert mit ικέτης, auf einem neu aufgetauchten Vasenbild, E. Simon Würzb. Jb 1
(1975) 177-85. Hdt. 1, 35, 2 behauptet, die Lyder hätten die gleiche Form der Mord-
Reinigung wie die Griechen. - Im Mythos unterzieht sich auch Apollon der Reinigung
nach Tötung, bei Karmanor (Paus. 2, 30, 3; 10, 7, 2; Schol. Pind. Pyth. hyp. c), in
Tempe (Delphischer Hymnos des Aristonoos I 17, p. 163 Powell), durch Verbannung
zu Admet (Eur. Alk. 5-7).
10 Aisch. Eum. 282f.; 448-52. Ausführlichste spätere Schilderung einer Mordreinigung:
Ap. Rh. 4, 662-717; vgl. Parker (1983) 370-4.
11 II. 1, 314.
 
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