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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0086
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Eberhard Jüngel

unterscheiden vermag, mit Bezug worauf es nötig ist, nach Beweisen zu
suchen, und in bezug worauf dies nicht nötig ist264.
264 Das bedeutet nicht, daß die Sätze der Theologie für den Nichtglaubenden unver-
ständlich und in keiner Weise nachvollziehbar sind. Für den Nichtglaubenden gewin-
nen sie vielmehr den Charakter von Hypothesen, die allerdings eine gewisse Triftig-
keit haben müssen, so daß sich aus ihnen auch für das den Nichtglaubenden bestim-
mende praktische Wissen etwas folgern läßt. Es muß also der Anspruch der theologi-
schen Sätze auf Allgemeingültigkeit auch für den Nichtglaubenden als ein zu-
mindest doch sinnvoller Anspruch dargetan werden können. Selbst wenn man
den Wahrheitswert der theologischen Sätze unerörtert läßt und damit diese Behaup-
tungen als Hypothesen nimmt, muß der Nichtglaubende in diesen Sätzen gleich-
wohl für ihn Relevantes erkennen können. Die theologischen Sätze müssen also
auch dann über die Wirklichkeit des Menschen etwas Ponderables aussagen, wenn
das für den Glauben entscheidende Wort in diesen Aussagen - nämlich Gott - als
Leerstelle aufgefaßt wird. Es ist zwar ein nicht nur erheblicher Unterschied,sondern
ein Unterschied wie zwischen Himmel und Erde (um nicht zu sagen: wie zwischen
Himmel und Hölle), ob man in einem Satz über Gott (oder in einem in einen sol-
chen Satz äquivalent umformbaren Satz) Gott für ein (aufgrund des Wortes Gottes)
bedeutungsvolles oder aber für ein bedeutungsloses, nichtssagendes Wort hält.
Aber auch im zweiten Fall muß der theologische Satz noch immer eine Möglichkeit
besseren oder jedenfalls sinnvollen Selbstverständnisses menschlicher Existenz
(und doch wohl auch die Möglichkeit eines ihm korrespondierenden Weltverständ-
nisses) anbieten. Ja, man kann geradezu behaupten, daß Sätze über Gott eben
dadurch von anderen Sätzen über ein durch einen Namen repräsentiertes
logisches Subjekt unterschieden sind, daß sie und nur sie auch dann noch etwas
Sinnvolles auszusagen vermögen (bzw. in solche Sätze umgeformt werden können,
die etwas Sinnvolles aussagen), wenn Gott als Leerstelle aufgefaßt wird. Nur der
Gottesbegriff ist der „theoretischen Selbstlosigkeit“ fähig, die es erlaubt, die unter
seiner Voraussetzung entstehenden theologischen Sätze so umformulieren zu kön-
nen, daß sie auch dem Gottlosen anthropologisch verständlich werden. Es wird
dann allerdings - und das macht den Unterschied zwischen Himmel und Erde aus! -
eine jede solche Aussage von einem Satz des Evangeliums zu einem Satz des Ge-
setzes (genauerhin: zu einem Satz des ohne das 1. Gebot verstandenen Gesetzes), es
wird dann ein eindeutig wohltuender Satz zu einem in sich in dieser Hinsicht ambi-
valenten Satz. Denn die Freude an Gott, die der Glaube in allen theologischen Sätzen
zum Ausdruck bringt, läßt sich nicht in solche Sätze transformieren, deren Bedeu-
tung nur unter Sistierung des Wortes 'Gott’ sinnvoll ist. Die Freude, ein von Gott
aus sich selbst herausgerufener - nämlich zu Gott und dem Nächsten gerufener -
Mensch zu sein, wird sistiert, wenn derselbe Satz, daß der Mensch wesentlich ein
von Gott aus sich selbst herausgerufenes und herausgesetztes (also sich selbst ent-
zogenes) Ich ist, in den Satz transformiert wird, daß der Mensch wesentlich ein
aus sich selbst herausgerufenes und herausgesetztes (also sich selbst entzogenes)
Ich ist. Denn nun bleibt ja offen und unbestimmt, wohin der Mensch gerufen
und wo er eigentlich ist, wenn er aus sich selbst herausgerufen und sich selbst
entzogen ist. Er kann nun z.B. durch das Schicksal aus sich selbst herausge-
worfen, er kann durch eine despotische Macht aus sich selbst herausbefohlen,
 
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