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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0040
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Ernst A. Schmidt

(Zu 3) Die Beispiele, die Augustin im elften Buch der Confessiones
für Gegenstände der Erwartung und der ,Messung4 zukünftiger Zeit
nennt, sind: der zu äußernde Ton, das zu singende bekannte Lied, der
Sonnenaufgang.
Aus diesen drei Abschnitten ergibt sich für die Zukunft in Augustins
Zeitlehre das folgende Bild. Sie spielt keine ausgezeichnete Rolle, ist
vielmehr der Gegenwart und Vergangenheit eindeutig nachgeordnet.
Es gibt keinen Anhalt, das Wesen der augustinischen Zeit als Zukünf-
tigkeit im Sinn einer in die Zukunft gerichteten „distentio animi“ zu
verstehen.
Es fehlt jeder spezifische (d. h. von Vergangenheitserfahrung ver-
schiedene) Gegenstand der Erfahrung. Besonders schockierend für die
Lesererwartung, Aussagen über die Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit
des Menschenlebens und der Menschheit, über die Zeitigung und den
Geschichtssinn aus der Zukunft zu finden, muß die Analogie zwischen
prämeditiertem Lied (Vorausberechnung aus der Erinnerung) und
dem ganzen „saeculum“ der,Menschensöhne4 sein: „Wie dieses Lied,
so das ganze Menschenleben, dessen Teile die menschlichen Hand-
lungen sind, so die ganze Zeit der Menschheit, deren Teile alle Men-
schenleben sind44 (conf. 11,28,38). Um so verblüffender, daß Duchrow
„in diesem einen Satz [... ] das vollständige Programm“ von „De civi-
tate Dei“ und dazu noch als einer von Geschichtstheologie bestimm-
ten Schrift beschlossen sehen will, daß er an dieser Stelle Augustin
„nicht nur zu seinem eigenen existentiellen Sein in der Geschichte,
sondern zur Geschichte des ganzen Menschengeschlechts“ übergehen
läßt. „Die Erkenntnis der Zeit in der Seele wird zur Erkenntnis der
Zeitlichkeit der Seele [...]. An dieser Stelle setzt die Christologie und
die Eschatologie ein“59.

59 Duchrow, Sog. psycholog. Zeitbegriff A.s, S. 269 und 283. - „totum saeculum“ ist
noch nicht (Welt-)Geschichte, und selbst wenn es Geschichte wäre, ist ihre einem
zu singenden Lied analoge Messung in den drei Zeitstufen noch keine Geschichts-
theologie. Die Ansatzstelle für Christologie und Eschatologie ist nicht auszu-
machen. Vgl. auch die Sachparallele conf. 4, 10, 15 (p. 65,11-16): „[...] partes [... ]
rerum [... ] non sunt omnes simul, sed decedendo et succedendo agunt omnes Uni-
versum, cuius partes sunt, ecce sic peragitur et sermo noster per signa sonantia. non
enim erit totus sermo, si unum verbum non decedat, cum sonuerit partes suas, ut
succedat aliud“.
 
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