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Ernst A. Schmidt
terire“ von „tempus“, von einer Zeit sprach, die zukunfts- und ver-
gangenheitsfrei war124.
Augustin stellt nicht allein die zeitliche Erkenntnis des Menschen
von Zeitlichem, sondern auch dessen zeitliche Erkenntnis des Ewigen
dem zeitlosen Wissen und Handeln Gottes gegenüber. Das von Gott
geschaffene Firmament, figürliche Rede für die Bibel, verkündet den
Schöpfer der Zeiten zeitlich („temporaliter enuntiantem te, qui fecisti
tempora“, conf. 13,15,18), während die Engel Gottes Angesicht immer
sehen und ohne zeitliche Silben in ihm lesen („vident enim faciem
tuam semper et ibi legunt sine syllabis temporum“, 1. c.). Die Bibel
spricht zeitlich, und wir sehen, was sie sagt, zeitlich („temporaliter
dicit“; „cum vos temporaliter ea videatis“, conf. 13,29,44), obwohl uns
die Wahrheit, der Geist in unserem Inneren sagt, daß in Gottes Sehen
keine Zeit ist („tu mihi dicis non esse in tua visione tempora“, 1. c.)125.
In den Bekenntnissen steht dem Du Gottes, der personalen Ewig-
keit, das Ich Augustins gegenüber, dem zeitlosen schöpferischen Wort
(conf. 11, 6, 8-11, 8,10) und der zeitlosen die Welt wissenden Wahrheit
zeithaftes Nachsprechen und Erkennen. Indem der Bekennende ent-
deckt, daß er nicht nur „ist“ sagt, sondern auch „war“ und „wird sein“
sagen muß, erkennt er die zeitliche Bedingtheit und Strukturierung
seiner Erkenntnis. Vergangenheit und Zukunft sind nun nicht mehr
defiziente Seinsweisen wie in Platons Timaios, sondern durch die Zeit
der Kreatur bedingte und differenzierte besondere Erkenntnismodi
des Menschen. Das scheinbare Nichtsein der Zeiten, das zu der absur-
den Konsequenz des Nichtseins der Welt und ihrer Zeit geführt (oder
aber zur Behauptung der Ewigkeit von Welt und Subjekt gezwungen)
hätte, war nur so lange eine Denknotwendigkeit, als sich die Erkennt-
nis nicht ihrer zeitlichen Struktur vergewissert, d. h. nicht erkannt
hatte, daß „es war“ ein „ist nicht“ nur im Sinn der Präsenz für die Wahr-
nehmung, also für einen einzigen zeitlichen Erkenntnismodus, bedeu-
tet, aber ein „ist“ im Sinn der Präsenz für die Erinnerung darstellt und
dort angeschaut werden kann.
Die Wesensfrage nach der Zeit wird vor dem Hintergrund der
Gewißheit des Seins der Kreatur und ihrer Zeit und im Gegenüber mit
Gottes Wissen Instrument der Erhellung menschlichen Erkennens
124 Vgl. o. S. 27 und 29.
125 Zum Anlaß dieser letzteren Überlegungen nimmt Augustin das sieben- bzw. acht-
fache Sehen Gottes, daß es gut bzw. alles sehr gut war (conf. 13, 28, 43-29, 44).
Ernst A. Schmidt
terire“ von „tempus“, von einer Zeit sprach, die zukunfts- und ver-
gangenheitsfrei war124.
Augustin stellt nicht allein die zeitliche Erkenntnis des Menschen
von Zeitlichem, sondern auch dessen zeitliche Erkenntnis des Ewigen
dem zeitlosen Wissen und Handeln Gottes gegenüber. Das von Gott
geschaffene Firmament, figürliche Rede für die Bibel, verkündet den
Schöpfer der Zeiten zeitlich („temporaliter enuntiantem te, qui fecisti
tempora“, conf. 13,15,18), während die Engel Gottes Angesicht immer
sehen und ohne zeitliche Silben in ihm lesen („vident enim faciem
tuam semper et ibi legunt sine syllabis temporum“, 1. c.). Die Bibel
spricht zeitlich, und wir sehen, was sie sagt, zeitlich („temporaliter
dicit“; „cum vos temporaliter ea videatis“, conf. 13,29,44), obwohl uns
die Wahrheit, der Geist in unserem Inneren sagt, daß in Gottes Sehen
keine Zeit ist („tu mihi dicis non esse in tua visione tempora“, 1. c.)125.
In den Bekenntnissen steht dem Du Gottes, der personalen Ewig-
keit, das Ich Augustins gegenüber, dem zeitlosen schöpferischen Wort
(conf. 11, 6, 8-11, 8,10) und der zeitlosen die Welt wissenden Wahrheit
zeithaftes Nachsprechen und Erkennen. Indem der Bekennende ent-
deckt, daß er nicht nur „ist“ sagt, sondern auch „war“ und „wird sein“
sagen muß, erkennt er die zeitliche Bedingtheit und Strukturierung
seiner Erkenntnis. Vergangenheit und Zukunft sind nun nicht mehr
defiziente Seinsweisen wie in Platons Timaios, sondern durch die Zeit
der Kreatur bedingte und differenzierte besondere Erkenntnismodi
des Menschen. Das scheinbare Nichtsein der Zeiten, das zu der absur-
den Konsequenz des Nichtseins der Welt und ihrer Zeit geführt (oder
aber zur Behauptung der Ewigkeit von Welt und Subjekt gezwungen)
hätte, war nur so lange eine Denknotwendigkeit, als sich die Erkennt-
nis nicht ihrer zeitlichen Struktur vergewissert, d. h. nicht erkannt
hatte, daß „es war“ ein „ist nicht“ nur im Sinn der Präsenz für die Wahr-
nehmung, also für einen einzigen zeitlichen Erkenntnismodus, bedeu-
tet, aber ein „ist“ im Sinn der Präsenz für die Erinnerung darstellt und
dort angeschaut werden kann.
Die Wesensfrage nach der Zeit wird vor dem Hintergrund der
Gewißheit des Seins der Kreatur und ihrer Zeit und im Gegenüber mit
Gottes Wissen Instrument der Erhellung menschlichen Erkennens
124 Vgl. o. S. 27 und 29.
125 Zum Anlaß dieser letzteren Überlegungen nimmt Augustin das sieben- bzw. acht-
fache Sehen Gottes, daß es gut bzw. alles sehr gut war (conf. 13, 28, 43-29, 44).