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Seebaß, Gottfried; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 4. Abhandlung): Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura von Lukas Cranach d. Ä.: zur Reformation e. Holzschnitts ; vorgetragen am 15. Dezember 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47818#0043
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Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura

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Hinter den erwähnten Spitzenfiguren finden sich, den himmlischen
Gruppen entsprechend, die Vertreter verschiedener geistlicher und
weltlicher Stände. Auf der Seite der Männer erkennt man Papst,
Kaiser, Kardinal, Bischof, einen gelehrten Juristen, einen Mönch,
Edelmann, Scholaren, einen Landsknechtsführer und einen Bauern,
auf der Seite der Frauen, neben zwei gekrönten Herrscherinnen,
Frauen unterschiedlichen Alters in adeliger und bürgerlicher Klei-
dung.
Die Gruppen der knienden Adoranten auf beiden Seiten sind mit
wenigen Ausnahmen einander zugewandt. Erst bei den vorn stehen-
den Personen der hinteren Reihen in den beiden Gruppen vollzieht
sich ein Wechsel der Blickrichtung: Sie wendet sich, ohne daß an den
Mienen Sympathie oder Abscheu klar erkenntlich würde, den beiden
satanischen Wesen zu, tierische Phantasiegestalten, die beide je ein
breites Spruchband vor die Gruppen der Männer und Frauen halten.
Die Stellung der Menschen zwischen Himmel und Satansmächten
wird eben durch diese beiden tafelartigen Spruchbänder angedeutet,
und sie kommt darüber hinaus in den beiden langen Spruchbändern,
die sich von den Gruppen rechts und links zum Himmel hinauf-
schwingen, zum Ausdruck.
Der untere, viel kleinere Holzschnitt stellt unter einem die ganze
Breite einnehmenden Schriftband das Höllenfeuer dar. Seine grob-
strichigen, von der feinen Ausführung der Himmelsleiter abstechen-
den Flammen bilden den Hintergrund für die davor gelegte, fast relief-
artig wirkende Darstellung. Nackte Männer und Frauen jeden Alters,
einige an der Tonsur als Mönche kenntlich, in unterschiedlichsten Stel-
lungen und Lagen werden von Teufeln mit Löwen-, Schweins-,
Hunde- und Hirschköpfen bedroht. In der rechten unteren Ecke
erscheint in einem stachelig-feurigen, höllischen Nimbus das affen-
und katzenartige Antlitz des personifizierten Herrn der Hölle.55 Dies
alles zeigt die Alternative zur Anbetung des dreieinigen Gottes durch
die Seligen auf der oberen Hälfte des Blattes.
In der damit sehr vorläufig charakterisierten Entscheidungssitua-
tion des Menschen liegt die Verbindung der Himmelsleiter zu Moti-
ven der Ars-moriendi-Darstellungen56 und dem gerade für die frühe
reformatorische Graphik charakteristischen Thema der Entschei-

” Ausführlichste Beschreibung bei Schuchardt, Cranach 3, S. 226f.
56 Vgl. Schreiber/Zimmermann, Art. Ars moriendi, in: RDK 1, Sp. 1121-1127.
 
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