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Seebaß, Gottfried; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 4. Abhandlung): Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura von Lukas Cranach d. Ä.: zur Reformation e. Holzschnitts ; vorgetragen am 15. Dezember 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47818#0058
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Gottfried Seebass

Eine gewisse Schwäche lag freilich darin, daß in der reformatori-
schen Fassung die unlösliche Verbindung von Gottes- und Weltver-
hältnis des Menschen, die in der vorreformatorischen Version durch
die ‘Tugendstufen’ immerhin, wenn auch in einer gewissen einseitigen
Weise, gegeben war, erheblich an Deutlichkeit verlor. Der nun auf
dem Holzschnitt erscheinende Begriff der Sünde konnte über die von
den Teufeln ausgehenden Versuchungen zwar noch negativ gefüllt
werden, aber es gab keine nähere Bestimmung der doch auch erwähn-
ten ‘Tugend’ mehr. Sie wurde nur noch im Spruchband um die
Gruppe der Frauen im Himmel, wenig reformatorisch, als ‘Fassen der
Welt’ definiert. Das doch gerade im reformatorischen Christusglauben
stets implizierte neue Verhältnis zum Nächsten und der Welt scheint
an keiner Stelle auf. Von daher konnte sich eine verinnerlichende Deu-
tung der in Christus begegnenden Gnade Gottes nahelegen. Eine wei-
tere Schwäche war damit verbunden, daß die reformatorische Neu-
fassung ‘allein auf dem Wort’ basierte. Nur dem Eesekundigen
erschloß sich der neue Sinn des Blattes, der Analphabet hatte nur das
‘alte Bild’ vor Augen. Man wird dies aber nicht überbewerten dürfen.
Möglicherweise kann man davon ausgehen, daß ein solch reiches und
großes Blatt einen Preis hatte, der ohnehin nur dem wohlhabenden
Gebildeten erschwinglich war. Da aber die Eeiter in jedem Fall dem
Gedanken des Aufstiegs näher stand als dem des Abstiegs, könnte
man aufgrund dieser Überlegung vermuten, daß die Himmelsleiter
erst in einer konfessionell weithin geklärten Situation als reformatori-
sches Bild angeeignet werden konnte.
3. Der lutherische Hintergrund der reformatorischen Version
Schon unsere bisherige Analyse der reformatorischen Fassung hat
gezeigt, daß, wie nicht anders zu erwarten, hinter ihr eine lutherisch
geprägte, reformatorische Theologie steht. Tatsächlich aber ist durch-
aus wahrscheinlich, daß es einen noch direkteren, persönlichen oder
literarisch vermittelten Einfluß Euthers auf die reformatorische An-
eignung der Himmelsleiter gibt.
Zunächst entsprach der Holzschnitt in seiner konstitutiven Verbin-
dung von bildlicher Darstellung und erklärendem Wort durchaus dem,
was Luther für „das Bild als pädagogisch-paränetische Hilfe“ selbst
wünschte. Denn das Bild sollte ganz wesentlich an Gottes Wort erin-
nern und schien ihm ohne das Wort in Gefahr, mißbraucht zu werden.
 
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