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Jauß, Hans Robert; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 1. Abhandlung): Die Epochenschwelle von 1912: Guillaume Apollinaire: "Zone" u. "Lundi rue Christine" ; vorgetragen am 11. Jan. 1986 — Heidelberg: Winter, 1986

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https://doi.org/10.11588/diglit.48144#0017
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I.

Die Epochenschwelle zu einer neuen Welle des Modernismus, die
Apollinaire um 1912 - in prägnanter Abhebung von der säkularen
‘Querelle des Anciens et des Modernes’ - mit dem nunmehr fur die
Künste beanspruchten Bewegungsbegriff der Avantgarde markierte1,
läßt sich in seiner lyrischen Produktion am genauesten datieren. Ende
1912 fugte Apollinaire den Druckfahnen seines Recueil Alcools ein
programmatisches Eingangsgedicht Zone hinzu. Im Dezember 1912
erschien aber auch schon Les Fenêtres, das erste Stück von Ondes, einer
Folge von ganz anders gearteten ‘Gedichten mit verschiedenen Stim-
men’ (auch „poèmes-conversations“ genannt)2, die den ersten, 1912
bis 1914 verfaßten Teil der späteren Sammlung Calligrammes bilden.
Im Schnitt zwischen den beiden Recueils, näherhin zwischen Zone
und Les Fenêtres, läßt sich die Genese eines „Art nouveau“ wie im
Brennspiegel einer Linse und genauer, weil in lyrischer Ausformung,
erfassen als in dem sogenannten ‘Frontwechsel’, der so vielstimmig
wie vieldeutig in den zahlreichen theoretischen Manifesten dieser
Epochenschwelle ausgerufen wurde. In der Theorie bekundet sich die
Proklamation des Neuen vorab in waghalsigen Antizipationen und oft
widersprüchlichen Erwartungen, die sich am besten in der poetischen
1 Zitiert wird nach G. Apollinaire: Œuvres Complètes, hg. A. Balland/J. Lecat, Paris
1966, Bd. I-IV, und Œuvres poétiques, éd. de la Pléiade, hg. M. Adéma/M. Décau-
din, Paris 1965; in der Sekundärliteratur stütze ich mich vor allem auf Ph. Renaud:
Lecture d’Apollinaire, Lausanne 1969, und auf Beiträge zu dem 2. Romanistischen
Kolloquium Lyrik und Malerei der Avantgarde, hg. R. Warning/W. Wehle, München
1982 (UTB 1191) [so im f. abgekürzt zitiert]. Zur Begriffsgeschichte von Avantgarde
s. M. Szabolcsi, in: New Literary History 3,1 (1971), S. 49-70; zur Übernahme des
Begriffs durch Apollinaire s. W. Wehle, in UTB 1191, S. 9; zum übergreifenden
Zusammenhang s. Vf.: „Der literarische Prozeß des Modernismus von Rousseau bis
Adorno“, in: Adorno-Konferenz 1983, hg. L. v. Friedeberg/J. Habermas, Frankfurt
1983, S. 95-130.
2 Zu den Gattungsbezeichnungen s. Renaud (1969), S. 237/314.
 
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