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Albrecht Dihle
νής), die κατά λόγον zustande gekommen ist und, so dürfen wir hinzufugen, mehr
ist als bloßes Resultat natürlicher Veranlagung, durch Einwirkung der Tyche nicht
ins Gegenteil werde umschlagen können, daß aber Menschen mit guter Moral und
guter Veranlagung (προαιρέσεις και φύσεις χρησταί), wenn sie unverdientermaßen
(παρ’ αξίαν) von Schicksalsschlägen betroffen werden, möglicherweise (ούκ
αδύνατον) mit dem Schicksal auch ihr Verhalten ändern (τω δαίμονι συμμεταβαλεΐν
τδ ήϋος).
In der Sulla-Vita (30) steht eine vergleichende Charakteristik des Marius und
Sulla. Marius war einfach von Natur aus schlecht und änderte sich darum auch nicht
unter der Einwirkung eigener Machtvollkommenheit (ού μετέβαλε τη έξουσία την
φύσιν). Sulla hingegen zeigte sich anfangs maßvoll, höflich, humorvoll, mitfühlend,
aber die spätere Machtvollkommenheit ließ seine Verhaltensweisen nicht bestän-
dig sein (ταΐς μεγάλαις έξουσίαις τα ήθη μένειν ούκ έώσαις έπϊ των έξ αρχής
τρόπων), sondern verkehrte sie ins Gegenteil (vgl. Valerius Maximus 6, 9,6). Ob es
sich dabei um eine Verrückung und Veränderung (κίνησις και μεταβολή φύσεως)
durch die Tyche oder um die Offenbarung einer bereits vorhandenen Schlechtig-
keit unter der Einwirkung der Machtvollkommenheit (ύποκειμένης άποκάλυψις
έν έξουσία κακίας) handele, dieses Problem will Plutarch einer späteren Abhand-
lung vorbehalten. Das Wort κακία verweist in diesem Zusammenhang gewiß
auf moralische Schlechtigkeit, die zwar auf der Grundlage natürlicher Veran-
lagung, jedoch aus bewußtem, zu verantwortendem Handeln des Menschen
zustande kommt. Anders als im Fall des Marius, dessen Veranlagung offenbar als
hoffnungslos angesehen wird, stellt Plutarch bei Sulla zwei Möglichkeiten der
Erklärung zur Diskussion. Die eine rechnet mit einer Beeinflussung der Natur, die
andere bezieht sich primär auf das ήϋος. Was mit der angekündigten Abhandlung
gemeint ist, läßt sich nicht mehr bestimmen. Sullas Werdegang als Beispiel morali-
scher μεταβολή kommt in thematisch verwandten Traktaten nicht vor, etwa in De
virtute morali oder Animine an corporis affectiones sint peiores. Aber wie Plutarch
die in Süll. 30 aufgeworfene Frage beantwortet hat, läßt sich aus der Arat-Vita
erschließen.
Plutarch kommt in dieser Biographie beiläufig auf die von Polybios so ein-
gehend erörterte μεταβολή im Verhalten Philipps V. zu sprechen (51). Daß Philipp
aus einem βασιλεύς ήμερος zu einem τύραννος έξώλης, aus einem μειράκιον
σώφρον zu einem άνήρ ασελγής wurde, führt Plutarch gerade nicht auf eine
μεταβολή φύσεως zurück. Die Erklärung lautet vielmehr: έπίδειξις έν άδεια κακίας
πολύν χρόνον διά φόβον άγνοηϋείσης. Wiederum ist es die längst vorhandene mora-
lische, nicht natürliche Schlechtigkeit, die in dem Augenblick hervortritt, da der
Mensch nichts zu furchten braucht. Polybios kann demgegenüber davon sprechen,
daß zur guten Natur des Königs mit fortschreitendem Alter Fehler hinzuge-
kommen seien, wie man das auch bei guten Pferden beobachte (10,26,6f.). Es han-
delt sich also um einen natürlichen Veränderungsprozeß.
Albrecht Dihle
νής), die κατά λόγον zustande gekommen ist und, so dürfen wir hinzufugen, mehr
ist als bloßes Resultat natürlicher Veranlagung, durch Einwirkung der Tyche nicht
ins Gegenteil werde umschlagen können, daß aber Menschen mit guter Moral und
guter Veranlagung (προαιρέσεις και φύσεις χρησταί), wenn sie unverdientermaßen
(παρ’ αξίαν) von Schicksalsschlägen betroffen werden, möglicherweise (ούκ
αδύνατον) mit dem Schicksal auch ihr Verhalten ändern (τω δαίμονι συμμεταβαλεΐν
τδ ήϋος).
In der Sulla-Vita (30) steht eine vergleichende Charakteristik des Marius und
Sulla. Marius war einfach von Natur aus schlecht und änderte sich darum auch nicht
unter der Einwirkung eigener Machtvollkommenheit (ού μετέβαλε τη έξουσία την
φύσιν). Sulla hingegen zeigte sich anfangs maßvoll, höflich, humorvoll, mitfühlend,
aber die spätere Machtvollkommenheit ließ seine Verhaltensweisen nicht bestän-
dig sein (ταΐς μεγάλαις έξουσίαις τα ήθη μένειν ούκ έώσαις έπϊ των έξ αρχής
τρόπων), sondern verkehrte sie ins Gegenteil (vgl. Valerius Maximus 6, 9,6). Ob es
sich dabei um eine Verrückung und Veränderung (κίνησις και μεταβολή φύσεως)
durch die Tyche oder um die Offenbarung einer bereits vorhandenen Schlechtig-
keit unter der Einwirkung der Machtvollkommenheit (ύποκειμένης άποκάλυψις
έν έξουσία κακίας) handele, dieses Problem will Plutarch einer späteren Abhand-
lung vorbehalten. Das Wort κακία verweist in diesem Zusammenhang gewiß
auf moralische Schlechtigkeit, die zwar auf der Grundlage natürlicher Veran-
lagung, jedoch aus bewußtem, zu verantwortendem Handeln des Menschen
zustande kommt. Anders als im Fall des Marius, dessen Veranlagung offenbar als
hoffnungslos angesehen wird, stellt Plutarch bei Sulla zwei Möglichkeiten der
Erklärung zur Diskussion. Die eine rechnet mit einer Beeinflussung der Natur, die
andere bezieht sich primär auf das ήϋος. Was mit der angekündigten Abhandlung
gemeint ist, läßt sich nicht mehr bestimmen. Sullas Werdegang als Beispiel morali-
scher μεταβολή kommt in thematisch verwandten Traktaten nicht vor, etwa in De
virtute morali oder Animine an corporis affectiones sint peiores. Aber wie Plutarch
die in Süll. 30 aufgeworfene Frage beantwortet hat, läßt sich aus der Arat-Vita
erschließen.
Plutarch kommt in dieser Biographie beiläufig auf die von Polybios so ein-
gehend erörterte μεταβολή im Verhalten Philipps V. zu sprechen (51). Daß Philipp
aus einem βασιλεύς ήμερος zu einem τύραννος έξώλης, aus einem μειράκιον
σώφρον zu einem άνήρ ασελγής wurde, führt Plutarch gerade nicht auf eine
μεταβολή φύσεως zurück. Die Erklärung lautet vielmehr: έπίδειξις έν άδεια κακίας
πολύν χρόνον διά φόβον άγνοηϋείσης. Wiederum ist es die längst vorhandene mora-
lische, nicht natürliche Schlechtigkeit, die in dem Augenblick hervortritt, da der
Mensch nichts zu furchten braucht. Polybios kann demgegenüber davon sprechen,
daß zur guten Natur des Königs mit fortschreitendem Alter Fehler hinzuge-
kommen seien, wie man das auch bei guten Pferden beobachte (10,26,6f.). Es han-
delt sich also um einen natürlichen Veränderungsprozeß.