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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0055
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Die Entstehung der historischen Biographie

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Auch Pultarch ist also das naheliegende Motiv geläufig, plötzliches Umschlagen
des menschlichen Verhaltens ins Schlechte lasse sich damit erklären, daß vorhan-
dene Schlechtigkeit zunächst aus Furcht oder Rücksichtnahme verborgen bleibe,
dann aber beim Wegfall solcher Hemmungen in der Situation der erreichten
Machtvollkommenheit im Handeln sogleich zutage trete. Daß dieses Modell sich
gerade der Historiographie anbietet, die es mit Menschen als Trägern der Macht zu
tun hat, zeigt seine Beliebtheit bei Polybios und in der Tradition der Geschichts-
schreibung. Der Vergleich der einschlägigen Stellen bei Polybios und Plutarch hat
aber einen wichtigen Unterschied deutlich gemacht: Der Historiker stellt als Fak-
toren, die das Verhalten geschichtlicher Personen bestimmen, das Wesen dieser
Männer und die von der Tyche herbeigeführten äußeren Umstände einander
gegenüber (Walbank, vgl. o. S. 50). Im Blick auf das Wesen der Menschen diffe-
renziert er nicht zwischen ihrer Veranlagung (φύσις) und ihrer sittlichen Verfassung
(διάϋεσις), leitet vielmehr das zweite unmittelbar aus dem ersten ab. So wird für ihn
ein von den Umständen erzwungenes Handeln gegen die Intention (προαίρεσις)
stets als Handeln gegen die Natur gedeutet.
Anders der Biograph, der sich an den Kategorien der philosophischen Ethik
orientiert. Plutarch differenziert sorgfältig zwischen Natur und Sittlichkeit in der
Motivation menschlichen Verhaltens, wenn er zuweilen auch mit Gestalten zu tun
hat, in deren Erscheinungsbild die Naturveranlagungen dominieren. Meist jedoch
ist es Sache der bewußt erworbenen und praktizierten Verhaltensweisen und nicht
der einfachen Naturanlagen, mit den Umständen der Außenwelt und den von
diesen ausgehenden Affektionen fertig zu werden. Nur dieser Vorgang ist sittlich
bedeutsam, unabhängig davon, ob die dargestellten Personen in das politische
Leben, also in den Umgang mit der Macht, verstrickt sind oder nicht. Auch Valerius
Maximus kennt in den Beispielen des 6. Buches nur ein Umschlagen der fortuna
und der mores, aber nicht der natura (6,9; vgl. 9, 1,2).
Der hier statuierte Unterschied ist von größter Bedeutung in der langen
Geschichte, die das Bild Alexanders des Großen in der politischen Vorstellungs-
welt bei Griechen und Römern gehabt hat. Alfred Heuss hat diesem Thema eine bis
heute maßgebende Studie gewidmet (Ant. u. Abendl. 4,1954,65ff; vgl. auch R. Μ.
Errington und G. Wirth, Entr. Hardt 22, 1976, 137ff. bzw. 181 ff. sowie P. Höge-
mann, Alexander d. Gr. und Arabien, München 1985,130ff und 135ff. zur Bedeu-
tung des Alexanderkultes).
Der unmittelbare Eindruck von der Person und Leistung Alexanders, der in der
Volksphantasie und der dynastischen Politik zu seinen Lebzeiten und gleich nach
seinem Tode wirksam wurde, führte auf die Vorstellung von einem Übermenschen
oder Gottmenschen. Die früh bezeugte Legende von seiner göttlichen Geburt, der
Zug zum Ammonsorakel, das Dionysos-Erlebnis in Indien, der Kult des toten
Alexander, die Nachahmung des Alexander-Porträts mit den Emblemen seiner
Göttlichkeit auf Diadochen-Münzen und vieles andere bezeugt diese Tradition,
 
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