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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0056
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Albrecht Dihle

nach der sich Alexander hinsichtlich seiner Physis von anderen Menschen unter-
schied. Ihm eignete, wie es Plutarch ausdrückt, eine andere δύναμις (Alex. fort. 1,9
= 331 A).
Die bei Theophrast beginnende Auseinandersetzung der Philosophie mit dem
Phänomen Alexander erfolgte demgegenüber von Anfang an im Rahmen einer
Anthropologie, die für die Bewertung sittlicher Phänomene auf der Grundlage
einer zwar mit gewissen Variationsspielräumen ausgestatteten, im wesentlichen
aber für alle Individuen gleichen und gleichbleibenden Menschennatur entworfen
war. Die Großtaten Alexanders so gut wie seine Entgleisungen konnten aus dieser
Perspektive also gerade nicht auf seine göttliche oder halbgöttliche Natur zurück-
geführt werden, sondern wurden in den Kategorien einer für alle Menschen gülti-
gen Individualethik beurteilt. Es macht in dieser Hinsicht auch keinen Unterschied,
ob die Bewertung von stoischem oder peripatetischem Standpunkt aus erfolgte. Die
Peripatetiker erklärten die unschönen Akte Alexanders in der zweiten Hälfte seiner
Karriere bekanntlich damit, daß seine auf guten Naturanlagen beruhende und
durch gute Erziehung herbeigeführte sittliche Haftung angesichts der Überfülle von
Erfolg und Macht eben doch nicht ausgereicht habe, ihn vor dem Abgleiten in
Luxus und Grausamkeit, also in die typischen Laster des Tyrannen, zu bewahren.
Die Stoiker vertraten demgegenüber die Ansicht, Alexander habe sittliche Tüchtig-
keit nie besessen, nur sei dieser Umstand erst zutage getreten, als die Überfülle
erreichter Macht alle Schranken seines Handelns beseitigt habe.
Wenn die philosophische Auseinandersetzung um die Person Alexanders zu
Urteilen gelangte, die im Hinblick auf die erworbene Sittlichkeit, nicht die ange-
borene besondere Natur des Königs gefällt wurden, entsprach das einer damals
schon 2-3 Generationen lang geführten Diskussion um die Beschaffenheit des
rechten Monarchen. Seit den „Fürstenspiegeln“ des Isokrates und Xenophon war
man sich darin einig, daß für den Herrscher zwar eine Reihe natürlicher Anlagen
wie Geistesgegenwart oder Gedächtnisstärke nötig sei, daß aber diese Eigenschaf-
ten durchaus zur normalen Menschennatur gehören und die eigentlichen Herr-
schertugenden wie Gerechtigkeit, Wohltätigkeit, Freigiebigkeit, Umgänglichkeit,
Maßhaltevermögen u. dgl. echte sittliche, d. h. durch Erziehung und bewußtes
Handeln erworbene Qualitäten und keine Gaben einer besonderen Herrschernatur
seien (reiches Material hierzu bei P. Hadot, Fürstenspiegel, RAC 8, 1972, 573 ff).
Die philosophischen oder doch von der Philosophie beeinflußten Lehren und Vor-
stellungen περί βασιλείας, die sich in einer durch die ganze hellenistisch-römische
Epoche hindurch gepflegten Literatur entfalten, scheinen ganz überwiegend die
besonderen, vom Herrscher zu fordernden Qualitäten als sittliche und nicht durch
die Natur von vornherein als Auszeichnung verliehene Vorzüge definiert zu haben.
Deshalb liegt auch ein starker Akzent in dieser Literatur auf der Erziehung des
künftigen und der Selbsterziehung des regierenden Herrschers. Das besonders bei
den Kynikern geschätzte Vorbild des Herakles, das von Antisthenes zuerst für die
 
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