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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0076
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Albrecht Dihle

treten lassen wie die Historien des Georgios Akropolites. Die in Byzanz zu hoher
Blüte gebrachte und durch Jahrhunderte gepflegte Chronographie widerstrebte aus
verschiedenen Gründen, nicht zuletzt wegen des Interesses an der Koordinierung
verschiedener Jahreszählungen, der Aufnahme des biographischen Elementes, das
sich natürlicherweise am leichtesten mit der Anordnung des Stoffes nach den
Lebens- oder Regierungsdaten des jeweiligen Herrschers verbindet. Indessen läßt
sich selbst in diesem Zweig historiographischer Literatur immer wieder erkennen,
wie Geschichtsschreibung in erster Linie als Bericht über die Taten der Herrscher
verstanden wurde, deren Lebens- und Charakterbild deshalb historisches Interesse
beanspruchte. Das war in einer ganz und gar auf die Monarchie konditionierten
Gesellschaft nicht merkwürdig und zeigt sich in der Chronographie etwa an einem
so bizarren Detail wie den in das Werk des Johannes Malalas eingefugten Abschnit-
ten zur Physiognomie der Heroen und Kaiser.
Daß es die Herrscherbiographie war, die zur Form der Geschichtsschreibung
werden und ihren Einfluß auch auf andere Arten der Historiographie ausdehnen
konnte, ist angesichts der politischen Verhältnisse im römischen Kaiserreich nicht
allzu merkwürdig. Zu fragen bleibt, ob es denn auch Ansätze zu jener uns geläufi-
gen Art historischer Biographie gegeben habe, die in einem anderen individuellen
Lebenslauf als dem des allgewaltigen Monarchen eine Epoche mit ihren eigentüm-
lichen Zügen vergegenwärtigt. Man denkt hier sogleich an die christliche Hagio-
graphie, deren Werke zuweilen erstaunlich weitreichenden Aufschluß über sehr
spezifische geschichtliche Verhältnisse vermitteln. Doch sollte man dabei nicht zu
hohe Erwartungen haben.
Die mit des Athanasios Biographie des Einsiedlers Antonios einsetzende grie-
chische Hagiographie hat wesentliche Elemente aus der Philosophenbiographie
übernommen. Diese erlebte gerade damals in der Schule Platons eine neue Blüte.
Die Philosophenbiographie hat es eher mit einem typischen als mit einem ein-
malig-historischen Vorgang zu tun. Ihre Schilderung des sittlichen Aufstiegs eines
philosophischen Lehrers zur individuellen Vollkommenheit über die verschiede-
nen, in der ethischen Theorie vorgesehenen Stufen ließ sich unschwer für die Dar-
stellung des Lebensweges exemplarischer Christen modifizieren. Auch aretalogi-
sche Lebensbeschreibungen nach Art der Apollonios-Vita Philostrats, wie sie
Lukian in der Schrift über Alexander von Abonuteichos parodiert, gehören in die
Ahnenreihe christlicher Hagiographie. Aber auch hier liegt der Akzent auf dem
Erweis der Übereinstimmung zwischen religiöser Haltung und wunderbarem Tun,
und die Darstellung gilt dem Individuum als Vertreter eines vorbildlichen Typus,
nicht dem geschichtlichen Phänomen. So zeichnet sich auch hier keine Nachbar-
schaft zur Historiographie ab, der es zuvörderst um unverwechselbare Ereignisse
oder Zustände geht. Für die frühste lateinische Heiligenvita, Pontius’ Vita des
Cyprian, war demgegenüber vor allem der Martyriumsbericht konstitutiv. Die Mar-
tinsvita des Sulpicius Severus, die Ambrosius-Vita des Paulinus und die Paulus-Vita
 
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