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Wolf, Joseph Georg; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1988, 2. Abhandlung): Das Senatusconsultum Silanianum und die Senatsrede des C. Cassius Longinus aus dem Jahre 61 n. Chr.: vorgetragen am 17. Jan. 1987 — Heidelberg: Winter, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.48153#0019
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Das Senatusconsultum Silanianum

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Der Gegenstand der Verhandlung war durch die Vorlage des Magi-
strats bestimmt, der die Sitzung einberufen hatte und leitete.45 Die
Vorlage enthielt keinen Antrag. Die Anträge kamen vielmehr von den
Senatoren. Die Senatoren wurden vom Vorsitzenden namentlich auf-
gerufen, ihre Meinung abzugeben und einen Beschlußvorschlag zu
machen; ihr Antrag konnte auch dahin gehen, keinen Beschluß zu
fassen. Der zuerst Aufgerufene mußte seine sententia explizit äußern;
jeder später Aufgerufene konnte einen anderen Antrag stellen, konnte
aber auch einem schon gestellten Antrag beitreten. Auf eine Begrün-
dung konnte in jedem Fall verzichtet werden.
Cassius hatte nicht die prima sententia. Als die Reihe an ihn kam46,
muß also schon ein Antrag vorgelegen haben; vielleicht waren es auch
schon mehrere. Bei seinem Rang und seinem Amtsalter wird die Reihe
aber bald an ihm gewesen sein und darum auch die Aussicht günstig,
die Senatoren für seine Meinung zu gewinnen. Cassius beantragte,
keinen Beschluß zu fassen, oder trat einem Antrag dieses Inhalts bei.47
Tatsächlich war er, wie spätestens die Abstimmung ergab, der Wort-
führer der Mehrheit, die für eine strikte Durchführung des senatus
consultum Silanianum entschied.48

45 Mommsen, Röm. Staatsrecht 3.955 f.; 961 f., und zum Folgenden 977f.; Talbert
234f., 253f. Eine Schilderung der Prozedur bei Plin. epist. 9.13.7-9, 13-20.
46 14.42.2 i.f.: sententiae loco. Zur Reihenfolge bei der Umfrage (sententiam rogare)
des vorsitzenden Magistrats: Mommsen (A. 45) 965 f.; Talbert 240 f.
47 14.42.2: pluribus nihil mutandum censentibus, ex quis C. Cassius ... disseruit.
48 14.45.1: praevaluit tamen pars, quae supplicium decernebat. Diese Darstellung ent-
spricht allerdings nicht dem eigentlichen Geschehen. Decernere ist nämlich der tech-
nische Ausdruck für die Beschlußfassung des Senats (Mommsen [A. 45] 977 A. 7,
988, 996). So fordert Cassius in technischer Rede die Senatoren rhetorisch (dazu
nach A. 84) auf: decernite hercule inpunitatem (43.3). Wie Cassius wollte, haben sie
die Begnadigung nicht beschlossen - aber auch nicht die Todesstrafe. Die Todes-
strafe war vielmehr vom Prätor verhängt worden (A. 41), und der Senat hat den
Dingen ihren Lauf gelassen: er ist dem Antrag des Cassius gefolgt und hat nichts
beschlossen. Dem Vorschlag, keinen Beschluß zu fassen, wurde „entsprochen durch
Ablehnung aller positiven Vorschläge“ (Mommsen 987). Die Verwendung der tech-
nischen Terminologie aber nicht in ihrem eigentlichen Sinn ist natürlich nicht zufäl-
lig; zu ihrer Funktion nach A. 106. - Sachgemäß berichtet Tacitus dagegen im ersten
Teil des Kontexts: pluribus nihil mutandum censentibus (42.2). Censere ist die
Abstimmung des Senators, steht aber auch für seine Stellungnahme zum Gegen-
stand der Verhandlung, für seinen Beschlußvorschlag, das sententiam dicere
(Mommsen 977, 988). Diese Bedeutung hat es hier und in 45.2: censuerat Cingonius.
- Termini technici der Geschäftsordnung sind außerdem sententia (45.1) und senten-
tiae loco (42.2). - Der vorsitzende Magistrat rief jeden Senator namentlich auf, seine
 
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