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Joseph Georg Wolf
Diese Aspekte der Selbstdarstellung entsprechen den rhetorischen
Kunstregeln und sind nur aus diesem Grunde bemerkenswert. Die
Darstellung macht sich aber ein offenbar allgemeines Urteil über die
Juristen zu Nutze. Cassius hat sich bei Angriffen auf den mos maiorum
bisher zurückgehalten, weil er befürchten mußte, durch Verteidigung
der alten Ordnung sein Rechtsstudium zu sehr herauszustreichen.
Diese Argumentation setzt voraus, daß der Jurist stets für den mos
antiquus eintritt. Der Traditionalismus des Juristen war offenbar ein
geläufiges Klischee.* * * * * * * * * * 75
(d) Fassen wir zusammen: Die Einleitung der Rede ist kunstvoll und
banal; kunstvoll die Gestaltung, banal der Inhalt. Im Prooemium stellt
sich ein Cassius vor, der sich aus persönlicher Bescheidenheit und klu-
ger Verantwortung gegenüber dem Staat im allgemeinen zurückhält;
der jetzt aber, wegen der Bedeutung der Sache, das Wort nimmt und
für sein Votum Autorität beansprucht. Genauso will es die Kunstregel.
Im Mittelpunkt der Selbstdarstellung steht das Bekenntnis zum mos
maiorum1, aber auch dieses Bekenntnis gibt dem Redner kein eigenes
Profil. Die Ablehnung des Antrags, zu dem er spricht, und seine Pro-
fession sind die beiden Fakten, die er in seiner Selbstdarstellung mit-
einander verknüpft. Das Konzept ist sehr einfach: Nichts steht, wie
jedermann weiß, dem Juristen mehr an, als den mos maiorum zu
bewahren. Nichts ist darum einleuchtender, als sein Widerspruch,
wenn gegen den mos maiorum verfahren werden soll. Damit das Kon-
zept aufgeht, muß freilich der Antrag, den Cassius ablehnt, dem mos
maiorum widersprechen. Darum ist das Silanianum für Cassius mos
antiquus. Das alles kündigt der Redner schon mit seinen allerersten
(Forts. Fußnote 74)
seiner Profession (siehe o. A. 72). Kriegstaten freilich hat Cassius nicht vollbracht
(siehe o. A. 31). Auch von besonderen politischen Leistungen verlautet nichts, im
Gegenteil: in Puteoli ist er gescheitert (siehe u. nach A. 186), und sein Auftritt
gegen die Einrichtung neuer feriae publicae zu Ehren Neros war ein Mißerfolg (siehe
o. A. 60). Grundlage seiner auctoritas werden darum, neben seiner juristischen
Tätigkeit, seine Abkunft (siehe o. A. 28), seine Karriere (siehe o. nach A. 28), seine
hohe gesellschaftliche Stellung (siehe o. nach A. 33) und wohl vor allem seine
Persönlichkeit und seine Lebensführung gewesen sein. Vgl. aber auch Nörr (1983)
202 und (1984) 2974.
75 Dieser Vorstellung entspricht auch die moderne Einschätzung der römischen Juris-
prudenz. Gegen ihre Bewertung als „traditionalistisch“ und auch gegen die Eignung
des Begriffs Traditionalismus als Bewertungsmaßstab der römischen Juristen
D. Nörr, Festschr. Flume I (1978) 153 f. m. Lit.
Joseph Georg Wolf
Diese Aspekte der Selbstdarstellung entsprechen den rhetorischen
Kunstregeln und sind nur aus diesem Grunde bemerkenswert. Die
Darstellung macht sich aber ein offenbar allgemeines Urteil über die
Juristen zu Nutze. Cassius hat sich bei Angriffen auf den mos maiorum
bisher zurückgehalten, weil er befürchten mußte, durch Verteidigung
der alten Ordnung sein Rechtsstudium zu sehr herauszustreichen.
Diese Argumentation setzt voraus, daß der Jurist stets für den mos
antiquus eintritt. Der Traditionalismus des Juristen war offenbar ein
geläufiges Klischee.* * * * * * * * * * 75
(d) Fassen wir zusammen: Die Einleitung der Rede ist kunstvoll und
banal; kunstvoll die Gestaltung, banal der Inhalt. Im Prooemium stellt
sich ein Cassius vor, der sich aus persönlicher Bescheidenheit und klu-
ger Verantwortung gegenüber dem Staat im allgemeinen zurückhält;
der jetzt aber, wegen der Bedeutung der Sache, das Wort nimmt und
für sein Votum Autorität beansprucht. Genauso will es die Kunstregel.
Im Mittelpunkt der Selbstdarstellung steht das Bekenntnis zum mos
maiorum1, aber auch dieses Bekenntnis gibt dem Redner kein eigenes
Profil. Die Ablehnung des Antrags, zu dem er spricht, und seine Pro-
fession sind die beiden Fakten, die er in seiner Selbstdarstellung mit-
einander verknüpft. Das Konzept ist sehr einfach: Nichts steht, wie
jedermann weiß, dem Juristen mehr an, als den mos maiorum zu
bewahren. Nichts ist darum einleuchtender, als sein Widerspruch,
wenn gegen den mos maiorum verfahren werden soll. Damit das Kon-
zept aufgeht, muß freilich der Antrag, den Cassius ablehnt, dem mos
maiorum widersprechen. Darum ist das Silanianum für Cassius mos
antiquus. Das alles kündigt der Redner schon mit seinen allerersten
(Forts. Fußnote 74)
seiner Profession (siehe o. A. 72). Kriegstaten freilich hat Cassius nicht vollbracht
(siehe o. A. 31). Auch von besonderen politischen Leistungen verlautet nichts, im
Gegenteil: in Puteoli ist er gescheitert (siehe u. nach A. 186), und sein Auftritt
gegen die Einrichtung neuer feriae publicae zu Ehren Neros war ein Mißerfolg (siehe
o. A. 60). Grundlage seiner auctoritas werden darum, neben seiner juristischen
Tätigkeit, seine Abkunft (siehe o. A. 28), seine Karriere (siehe o. nach A. 28), seine
hohe gesellschaftliche Stellung (siehe o. nach A. 33) und wohl vor allem seine
Persönlichkeit und seine Lebensführung gewesen sein. Vgl. aber auch Nörr (1983)
202 und (1984) 2974.
75 Dieser Vorstellung entspricht auch die moderne Einschätzung der römischen Juris-
prudenz. Gegen ihre Bewertung als „traditionalistisch“ und auch gegen die Eignung
des Begriffs Traditionalismus als Bewertungsmaßstab der römischen Juristen
D. Nörr, Festschr. Flume I (1978) 153 f. m. Lit.