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Joseph Georg Wolf
diese Weise nicht zufügen; wer uns das weismachen wolle, sollte sich
schämen. Genauso gut könnten wir ja gleich entscheiden, daß der
Dominus zu Recht ermordet worden ist.
Cassius bestreitet also nicht, daß Pedanius einen Freilassungsvertrag
gebrochen oder dem Täter den Liebhaber fortgenommen hat; er läßt
sich aber auch nicht auf das Anstößige dieser Vorgänge ein105, sondern
wendet die Sache ins Juristische; als käme alles darauf an, fragt er nach
dem Unrecht dieser Vorgänge: ob Pedanius im einen oder andern Fall
dem Sklaven Unrecht zugefügt habe - und hat dann natürlich leichtes
Spiel.
Die Befürworter einer Begnadigung stellten sich offenbar vor, daß
die unterlassene Hilfeleistung weniger oder gar nicht mehr strafwürdig
sei, wenn der Dominus die Tat herausgefordert hat. Sie dachten natür-
lich nicht an eine Rechtfertigung der Mordtat106; eine Rechtfertigung
der Mordtat war gar nicht möglich. Cassius lenkt aber ihre Argumente
in eben diese Richtung, als sei Recht oder Unrecht der Mordtat das
Kriterium für eine Begnadigung; und er tut es gerade darum, weil es
für die Mordtat der Sklaven gar keine Rechtfertigung gab. So nämlich
kann er wirkungsvoll die konzise und jedermann geläufige Urteilsfor-
mel107 anwenden und die Senatoren in ironischer Zuspitzung108 auffor-
dern: pronuntiemus ultro dominum iure caesum videri.
Wir wissen nicht, ob das senatus consultum Silanianum eine rechtswi-
drige Mordtat voraussetzte.109 War der Täter ein Sklave des Ermorde-
ten, war die Tat immer rechtswidrig. Darum hätte das Urteil über die
Mordtat unter keinen Umständen iure caesum videri lauten können.
Indessen müssen wir uns wieder klarmachen, daß es im Senat nicht um
den Täter geht, sondern um die Sklaven, die ihrem Herrn nicht zu
Hilfe gekommen sind; und auch nicht um deren Bestrafung: sie sind
105 Vgl. o. bei A. 97. Die Tatmotive diskreditieren natürlich auch den Ermordeten
(Syme II 479); aber nicht unter diesem Gesichtspunkt konnten sie für eine Begnadi-
gung angeführt werden.
106 Anders D’Ippolito 50.
107 Siehe o. A. 48 a. E. Zum genus iudiciale s. A. 116.
108 In der Figur der permissio: vgl. Lausberg §§ 903, 857; Quint, inst. 8.6.56 und 9.2.48
i.f.
1119 Da der Tatbestand des Silanianum nicht verlangte, daß der Dominus von einem
eigenen Sklaven oder überhaupt von einem Sklaven getötet worden war (A. 22),
stellte sich diese Frage, wenn ein fremder Sklave oder ein Freier ihn in Notwehr
getötet hatte. In der juristischen Überlieferung ist sie nicht erörtert. Bei Selbstmord
des Dominus fand das Silanianum keine Anwendung: Ulpian D 29.5.1.22,23; Paulus
PS 3.5.4.
Joseph Georg Wolf
diese Weise nicht zufügen; wer uns das weismachen wolle, sollte sich
schämen. Genauso gut könnten wir ja gleich entscheiden, daß der
Dominus zu Recht ermordet worden ist.
Cassius bestreitet also nicht, daß Pedanius einen Freilassungsvertrag
gebrochen oder dem Täter den Liebhaber fortgenommen hat; er läßt
sich aber auch nicht auf das Anstößige dieser Vorgänge ein105, sondern
wendet die Sache ins Juristische; als käme alles darauf an, fragt er nach
dem Unrecht dieser Vorgänge: ob Pedanius im einen oder andern Fall
dem Sklaven Unrecht zugefügt habe - und hat dann natürlich leichtes
Spiel.
Die Befürworter einer Begnadigung stellten sich offenbar vor, daß
die unterlassene Hilfeleistung weniger oder gar nicht mehr strafwürdig
sei, wenn der Dominus die Tat herausgefordert hat. Sie dachten natür-
lich nicht an eine Rechtfertigung der Mordtat106; eine Rechtfertigung
der Mordtat war gar nicht möglich. Cassius lenkt aber ihre Argumente
in eben diese Richtung, als sei Recht oder Unrecht der Mordtat das
Kriterium für eine Begnadigung; und er tut es gerade darum, weil es
für die Mordtat der Sklaven gar keine Rechtfertigung gab. So nämlich
kann er wirkungsvoll die konzise und jedermann geläufige Urteilsfor-
mel107 anwenden und die Senatoren in ironischer Zuspitzung108 auffor-
dern: pronuntiemus ultro dominum iure caesum videri.
Wir wissen nicht, ob das senatus consultum Silanianum eine rechtswi-
drige Mordtat voraussetzte.109 War der Täter ein Sklave des Ermorde-
ten, war die Tat immer rechtswidrig. Darum hätte das Urteil über die
Mordtat unter keinen Umständen iure caesum videri lauten können.
Indessen müssen wir uns wieder klarmachen, daß es im Senat nicht um
den Täter geht, sondern um die Sklaven, die ihrem Herrn nicht zu
Hilfe gekommen sind; und auch nicht um deren Bestrafung: sie sind
105 Vgl. o. bei A. 97. Die Tatmotive diskreditieren natürlich auch den Ermordeten
(Syme II 479); aber nicht unter diesem Gesichtspunkt konnten sie für eine Begnadi-
gung angeführt werden.
106 Anders D’Ippolito 50.
107 Siehe o. A. 48 a. E. Zum genus iudiciale s. A. 116.
108 In der Figur der permissio: vgl. Lausberg §§ 903, 857; Quint, inst. 8.6.56 und 9.2.48
i.f.
1119 Da der Tatbestand des Silanianum nicht verlangte, daß der Dominus von einem
eigenen Sklaven oder überhaupt von einem Sklaven getötet worden war (A. 22),
stellte sich diese Frage, wenn ein fremder Sklave oder ein Freier ihn in Notwehr
getötet hatte. In der juristischen Überlieferung ist sie nicht erörtert. Bei Selbstmord
des Dominus fand das Silanianum keine Anwendung: Ulpian D 29.5.1.22,23; Paulus
PS 3.5.4.