Metadaten

Wolf, Joseph Georg; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1988, 2. Abhandlung): Das Senatusconsultum Silanianum und die Senatsrede des C. Cassius Longinus aus dem Jahre 61 n. Chr.: vorgetragen am 17. Jan. 1987 — Heidelberg: Winter, 1988

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48153#0034
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
32

Joseph Georg Wolf

kein selbständiges Indiz für einen Gesamtentwurf von Kontext und
Rede; Tacitus kann die Rede wörtlich übernommen und den Kontext
nach ihr eingerichtet haben; sie paßt aber natürlich gut zu den Hinwei-
sen, daß auch die Rede aus seiner Feder stammt.
7. Nach dieser refutatio von Gegenargumenten setzt Cassius die argu-
mentatio fort und kommt wieder auf den Zweck des Gesetzes zu spre-
chen.114 Er hat seinen Zuhörern vor Augen geführt, was die Folgen
wären, wenn sie Straflosigkeit beschlössen: schutzlos wären sie den
Anschlägen ihrer Sklaven ausgesetzt, denn eine Begnadigung würde
das Gesetz praktisch aufheben.115 Jetzt will Cassius klarmachen, daß
der Senatsbeschluß, so wie er ist, nach wie vor gerechtfertigt ist: wenn
er heute zur Verabschiedung stünde, der Senat würde ihn noch einmal
beschließen.116 Denn nach wie vor sei es richtig, daß kein Sklave seinen
Herrn allein und unbemerkt von allen anderen umbringen könne. Wer
Mordabsichten hat, der läßt ein drohendes Wort fallen oder macht eine
unbedachte Bemerkung; er legt die Mordwaffe bereit, schleicht sich an
den Wachen vorbei, öffnet die Tür zum Schlafgemach: all das kann

114 14.44.1 f. Auch diese zweite probatio (zur ersten siehe o. A. 85) gehört zu den
‘artifiziellen’ Beweisen; Näheres u. A. 117. Cassius beginnt: Libet argumenta con-
quirere in eo, quod sapientioribus deliberatum est? Sapientia ist eine Eigenschaft der
maiores; so ständig bei Cicero, vgl. Roloff 304 u. ö. Cassius erinnert also wieder
daran, daß mit dem Silanianum mos maiorum in Rede steht; vgl. o. nach A. 63.
115 Siehe o. nach A. 83.
116 Mit der Wendung sed et si nunc primum statuendum haberemus schafft sich Cassius
die Möglichkeit, wie in einem Gesetzgebungsverfahren zu argumentieren (anders
O. Behrends, SZ 97 [1980] 455 A. 7). Die Gesetzgebung war bekanntlich das
Hauptfeld der Beratungsrede, des genus deliberativum (Lausberg §§224 f.). In der
refutatio hat Cassius wie zu Richtern gesprochen: pronuntiemus ultro dominum iure
caesum videri - im nächsten Satz zeigt er die Rückkehr zum genus deliberativum
selbst an: libet argumenta conquirere in eo, quod sapientioribus deliberatum est?
Dort war, wie in der Gerichtsrede, die Alternative iniurialiure; jetzt ist die leitende
Alternative wieder utilelinutile (vgl. Lausberg §§ 140, 224). - Das genus iudiciale
kennzeichnet, daß der Redner „über einen der Vergangenheit angehörenden Tatbe-
stand“ spricht; das genus deliberativum, daß er „eine der Zukunft angehörende
Handlung empfiehlt oder von ihr abrät“ (Lausberg §61). Die Befürworter einer
Begnadigung haben ‘der Vergangenheit angehörende Tatbestände’ ins Feld geführt
(s. nach A. 94); auch das paßt zum Wechsel der Gattung in der refutatio. Schließlich
wäre zu bedenken, daß die Begnadigung in manchem dem Urteil nahe steht; Cassius
sieht sie allerdings nur unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften