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Joseph Georg Wolf
exemplum ex maiore ad minus aussieht.142 Denn sofort stellt sich die
Vorstellung ein: wenn wir sogar unsere eigenen Soldaten um unserer
Sicherheit willen opfern, müssen wir doch erst recht Sklaven opfern
dürfen. Irrtum oder Absicht, Cassius oder Tacitus: wir können es nicht
entscheiden.143
10. Ganz anders als der Tenor der Rede ist die Tendenz des Kon-
texts.144 Zunächst ist der Sachverhalt auf das Äußerste reduziert: prae-
fectum urbis Pedanium Secundum servus ipsius interfecit.145 Die Tatum-
stände, die gegen den Täter einnehmen könnten146, werden nicht
erwähnt. Die Tatmotive, die den Ermordeten diskriminieren147, wer-
den dagegen mitgeteilt. Im nächsten Satz148 berichtet Tacitus, das Volk
sei zusammengelaufen, um tot innoxios, ‘so viele Unschuldige’ zu
schützen; und nach der Wiedergabe der Rede149, daß im Senat Mitleid
gezeigt worden sei mit plurimorum indubiam innocentiam, ‘der unzwei-
felhaften Unschuld so vieler’. Die Anwendung des Gesetzes wird als
nimia severitas, als ‘eine allzu große Härte’ bezeichnet156; und am Ende
142 Nörr (1983) 198 geht in seinem Urteil weiter (s. schon o. A. 66): es sei „wiederum
charakteristisch“, daß das „Exemplum im Grunde nicht paßt“; „die Verschleierung
der Wahrheit“ sei durch die utilitas der Strafaktion, für die Cassius seine Zuhörer
gewinnen will, kaum zu rechtfertigen. Ich sehe für diese moralistische Betrachtungs-
weise keinen Anlaß.
143 Dagegen ist deutlich geworden, daß die Schlußsentenz kein Bekenntnis des Redners
„zum Vorrang der (publica) utilitas“ (Nörr [1983] 211) ist und auch nicht des
Juristen „atteggiamento ostile ai servi“ begründet (D’Ippolito 73). Auch wenn
Cassius die Rede so gehalten hätte, wie sie bei Tacitus steht: bei der pedantischen,
lückenlosen Befolgung der rhetorischen Theorie verböte sich, aus der Argumenta-
tion Rückschlüsse auf die persönlichen Anschauungen des Redners zu ziehen. -
Völlig anders versteht die Schlußsentenz Bellen, Gymnasium 89 (1982) 453 ff. Es
ist zwar richtig, daß das Silanianum den Erben ein Sonderopfer zumutet, dessen
Rechtfertigung mit dem gemeinen Nutzen sogar konsistent wäre. Nur ist das nicht
der Gegenstand der Rede. - Die Verbote des Edikts (o. A. 13) zeigen den Konflikt
zwischen der Anwendung des Silanianum und dem Interesse der Erben; vgl. Dalla
39 ff.
144 Syme II 533 mit A. 4; Koestermann zu 14.43.1; DTppolito 47; Nörr (1983) 220f.
Anders die ältere Literatur, vgl. Koestermann.
145 14.42.1.
146 Siehe o. nach A. 78.
147 Siehe o. nach A. 90.
148 14.42.2.
149 14.45.1.
150 14.42.2.
Joseph Georg Wolf
exemplum ex maiore ad minus aussieht.142 Denn sofort stellt sich die
Vorstellung ein: wenn wir sogar unsere eigenen Soldaten um unserer
Sicherheit willen opfern, müssen wir doch erst recht Sklaven opfern
dürfen. Irrtum oder Absicht, Cassius oder Tacitus: wir können es nicht
entscheiden.143
10. Ganz anders als der Tenor der Rede ist die Tendenz des Kon-
texts.144 Zunächst ist der Sachverhalt auf das Äußerste reduziert: prae-
fectum urbis Pedanium Secundum servus ipsius interfecit.145 Die Tatum-
stände, die gegen den Täter einnehmen könnten146, werden nicht
erwähnt. Die Tatmotive, die den Ermordeten diskriminieren147, wer-
den dagegen mitgeteilt. Im nächsten Satz148 berichtet Tacitus, das Volk
sei zusammengelaufen, um tot innoxios, ‘so viele Unschuldige’ zu
schützen; und nach der Wiedergabe der Rede149, daß im Senat Mitleid
gezeigt worden sei mit plurimorum indubiam innocentiam, ‘der unzwei-
felhaften Unschuld so vieler’. Die Anwendung des Gesetzes wird als
nimia severitas, als ‘eine allzu große Härte’ bezeichnet156; und am Ende
142 Nörr (1983) 198 geht in seinem Urteil weiter (s. schon o. A. 66): es sei „wiederum
charakteristisch“, daß das „Exemplum im Grunde nicht paßt“; „die Verschleierung
der Wahrheit“ sei durch die utilitas der Strafaktion, für die Cassius seine Zuhörer
gewinnen will, kaum zu rechtfertigen. Ich sehe für diese moralistische Betrachtungs-
weise keinen Anlaß.
143 Dagegen ist deutlich geworden, daß die Schlußsentenz kein Bekenntnis des Redners
„zum Vorrang der (publica) utilitas“ (Nörr [1983] 211) ist und auch nicht des
Juristen „atteggiamento ostile ai servi“ begründet (D’Ippolito 73). Auch wenn
Cassius die Rede so gehalten hätte, wie sie bei Tacitus steht: bei der pedantischen,
lückenlosen Befolgung der rhetorischen Theorie verböte sich, aus der Argumenta-
tion Rückschlüsse auf die persönlichen Anschauungen des Redners zu ziehen. -
Völlig anders versteht die Schlußsentenz Bellen, Gymnasium 89 (1982) 453 ff. Es
ist zwar richtig, daß das Silanianum den Erben ein Sonderopfer zumutet, dessen
Rechtfertigung mit dem gemeinen Nutzen sogar konsistent wäre. Nur ist das nicht
der Gegenstand der Rede. - Die Verbote des Edikts (o. A. 13) zeigen den Konflikt
zwischen der Anwendung des Silanianum und dem Interesse der Erben; vgl. Dalla
39 ff.
144 Syme II 533 mit A. 4; Koestermann zu 14.43.1; DTppolito 47; Nörr (1983) 220f.
Anders die ältere Literatur, vgl. Koestermann.
145 14.42.1.
146 Siehe o. nach A. 78.
147 Siehe o. nach A. 90.
148 14.42.2.
149 14.45.1.
150 14.42.2.