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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0026
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Arno Borst

Eudoxos von Knidos oder, nach anderen, Apollonios von Perge die
‘Spinne’ (arachne) erfunden habe.14
‘Spinne’ hieß sechshundert Jahre nach Vitruv am Astrolab eine
drehbare, durchbrochene Scheibe mit Marken für Fixsterne im Kreis
der Ekliptik. Daraus folgern moderne Kenner der antiken Astronomie,
bereits Apollonios habe das flache, planisphärische Astrolab erfun-
den.15 Dieser Gedankensprung über acht Jahrhunderte hinweg geht
mir wie den meisten Philologen und Historikern zu weit. Gewiß setzte
das Astrolab die stereographische Projektion voraus, aber auch auf
einer verfeinerten Sonnenuhr oder Wasseruhr glichen die konzentri-
schen Geraden, Kurven und Kreise von Stunden, Höhen und Richtun-
gen dem Netz einer Spinne, und wenigstens Vitruv meinte ein solches
Geflecht, als er von der Spinne sprach. Offenbar brauchte die römische
Ökumene seit Caesars Tagen Methoden zur präzisen Angabe der
Tagesstunden und erhielt dafür vielerlei Instrumente, horoscopia. Die
Messung von Nachtstunden wurde nicht mit gleichem Nachdruck
gefordert, solange sich die römische Oberschicht gegen die orientali-
sche Astrologie noch sträubte.
Spürbar verschoben sich die Gewichte erst um 150 nach Augustus
und Christus, bei Klaudios Ptolemaios von Alexandria. Der berühm-
teste hellenistische Enzyklopädist bündelte die Voraussetzungen für
das Astrolab. Erstens erklärte er die geometrische Theorie der
stereographischen Projektion so ausführlich, daß man sie in astrono-
mische Praxis umsetzen konnte. Zweitens verband er diese Projektion
ausdrücklich mit einem horoscopium instrumentum, einem Hilfsmittel
zur Zeitmessung, das eine ‘Spinne’ (aranea) aufweise. Drittens forderte
er eindeutig, daß ein solcher Stundenanzeiger die Position einiger
Fixsterne im Tierkreis abbilde, also nicht bloß Tageszeiten, sondern

14 De architectura IX, 8. 1, hg. von Jean Soubiran, Vitruve De l’architecture livre
IX (1969) S. 30. Dazu der brillante Kommentar ebd. S. 248-252; im gleichen
Sinn schon Michel, Traite S. 6; Zinner, Astrolab S. 10; etwas anders Waerden,
Wissenschaft Bd. 1 S. 297-300. Zu Caesars Kalenderreform, die hier mitzube-
achten ist, Elias J. Bickerman, Chronology of the Ancient World (21980) S.
47-51; Norbert Elias, Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II (1984) S.
181-185.
15 So Gunther, Astrolabes Bd. 1 S. 54 f.; erstaunlich entschieden nun auch
Waerden, Astronomie S. 101-104, 301 f.; distanziert Schramm, Sphaira S. 108;
Bennett, Circle S. 14; vehement dagegen Michel, Traite S. 6. Zur bewegten
Wortgeschichte der ‘Spinne’ Kunitzsch, Glossar S. 515-517. Daß das in
Antikythera gefundene Bruchstück ein griechisches Astrolab abbilde, meint
bloß Gunther, Astrolabes Bd. 1 S. 55-58.
 
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