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Arno Borst
Astrolabs herbeigeführt wurde. Wir hören, daß Hermann der Lahme
es ausrief, sehen aber nicht, woher das Instrument zu ihm gelangte, wie
er hinter sein Geheimnis kam und wozu er es brauchte. Ein Benedik-
tiner in der Klausur als Vermittler zwischen Ptolemaios und Koperni-
kus, das glauben moderne Weltbürger ungern. War es nicht ein ganz
anderer Idealtyp als der mönchische, der sich inmitten der dumpfen
Feudalzeit erstmals wieder zur mediterranen Rationalität und Mobili-
tät bekannte, der Typ des Stadtbürgers?
Wenn es so gewesen wäre, läge am nächsten der Handelsweg über
Venedig.32 Tatsächlich beschrieb um 1040 das lateinische Gedicht vom
Schneekind einen Kaufmann aus Konstanz, der seine Schätze übers
Mittelmeer zu tropischen Märkten transportierte. Ein solcher Fern-
händler rechnete mit weiteren Räumen und kürzeren Zeiten als ein
alemannischer Bauer.33 Man möchte sich ausdenken, daß er auf einem
venezianischen Schiff die Handgriffe am Astrolab erlernte, im Basar
von Alexandria eines der damals dort schon zahlreichen Exemplare
erwarb und daheim den gelehrten Hermann bat, ihm das Ding zu
erklären.34
So war es nicht. Ein Konstanzer Kaufmann konnte gewiß um das
Jahr 1000 so gut wie einen exotischen Teppich ein Astrolab aus dem
32 Gunther, Astrolabes Bd. 2 S. 403 denkt an venezianische Vermittlung, ebenso
Willy Härtner, The Principle and Use of the Astrolabe (zuerst 1939), jetzt in:
Derselbe, Oriens - Occidens. Ausgewählte Schriften zur Wissenschafts- und
Kulturgeschichte, Bd. 1 (1968) S. 287-311, hier S. 290. Dagegen Kunitzsch,
Sternnamen S. 38.
33 Modus Liebinc, hg. von Karl Strecker, Die Cambridger Lieder (MGH.
Scriptores rerum Germanicarum Bd. 40, 21955) S. 41-44. Zu Verfasserschaft
und Datierung Volker Schupp, Modus Liebinc, in: Verfasserlexikon Bd. 6
(1986) Sp. 630-632. Zur Rationalität der Kaufleute am nachdrücklichsten
Jacques Le Goff, Zeit der Kirche und Zeit des Händlers im Mittelalter (zuerst
1960). jetzt in: Marc Bloch u. a., Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge
zur systematischen Aneignung historischer Prozesse, hg. von Claudia Honegger
(1977) S. 393-414.
34 Zum ältesten datierten arabischen Astrolab von 927/928 David A. King, A Note
on the Astrolabist Nastülus/Bastülus (zuerst 1978), jetzt in: King, Instruments S.
IV 117-120; derselbe und Paul Kunitzsch, Nastülus the Astrolabist Once Again
(zuerst 1983), jetzt in: King, Instruments S. V 342-343. Nach den Übersichten
von Gunther, Astrolabes Bd. 1 S. 113-177, 229-248; Derek J. Price, An
International Checklist of Astrolabes, AIHS 8 (1955) S. 243-263, 363-381;
Destombes, Astrolabe S. 12-16 häufen sich Exemplare aus dem persischen,
syrischen und ägyptischen Raum seit etwa 950.
Arno Borst
Astrolabs herbeigeführt wurde. Wir hören, daß Hermann der Lahme
es ausrief, sehen aber nicht, woher das Instrument zu ihm gelangte, wie
er hinter sein Geheimnis kam und wozu er es brauchte. Ein Benedik-
tiner in der Klausur als Vermittler zwischen Ptolemaios und Koperni-
kus, das glauben moderne Weltbürger ungern. War es nicht ein ganz
anderer Idealtyp als der mönchische, der sich inmitten der dumpfen
Feudalzeit erstmals wieder zur mediterranen Rationalität und Mobili-
tät bekannte, der Typ des Stadtbürgers?
Wenn es so gewesen wäre, läge am nächsten der Handelsweg über
Venedig.32 Tatsächlich beschrieb um 1040 das lateinische Gedicht vom
Schneekind einen Kaufmann aus Konstanz, der seine Schätze übers
Mittelmeer zu tropischen Märkten transportierte. Ein solcher Fern-
händler rechnete mit weiteren Räumen und kürzeren Zeiten als ein
alemannischer Bauer.33 Man möchte sich ausdenken, daß er auf einem
venezianischen Schiff die Handgriffe am Astrolab erlernte, im Basar
von Alexandria eines der damals dort schon zahlreichen Exemplare
erwarb und daheim den gelehrten Hermann bat, ihm das Ding zu
erklären.34
So war es nicht. Ein Konstanzer Kaufmann konnte gewiß um das
Jahr 1000 so gut wie einen exotischen Teppich ein Astrolab aus dem
32 Gunther, Astrolabes Bd. 2 S. 403 denkt an venezianische Vermittlung, ebenso
Willy Härtner, The Principle and Use of the Astrolabe (zuerst 1939), jetzt in:
Derselbe, Oriens - Occidens. Ausgewählte Schriften zur Wissenschafts- und
Kulturgeschichte, Bd. 1 (1968) S. 287-311, hier S. 290. Dagegen Kunitzsch,
Sternnamen S. 38.
33 Modus Liebinc, hg. von Karl Strecker, Die Cambridger Lieder (MGH.
Scriptores rerum Germanicarum Bd. 40, 21955) S. 41-44. Zu Verfasserschaft
und Datierung Volker Schupp, Modus Liebinc, in: Verfasserlexikon Bd. 6
(1986) Sp. 630-632. Zur Rationalität der Kaufleute am nachdrücklichsten
Jacques Le Goff, Zeit der Kirche und Zeit des Händlers im Mittelalter (zuerst
1960). jetzt in: Marc Bloch u. a., Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge
zur systematischen Aneignung historischer Prozesse, hg. von Claudia Honegger
(1977) S. 393-414.
34 Zum ältesten datierten arabischen Astrolab von 927/928 David A. King, A Note
on the Astrolabist Nastülus/Bastülus (zuerst 1978), jetzt in: King, Instruments S.
IV 117-120; derselbe und Paul Kunitzsch, Nastülus the Astrolabist Once Again
(zuerst 1983), jetzt in: King, Instruments S. V 342-343. Nach den Übersichten
von Gunther, Astrolabes Bd. 1 S. 113-177, 229-248; Derek J. Price, An
International Checklist of Astrolabes, AIHS 8 (1955) S. 243-263, 363-381;
Destombes, Astrolabe S. 12-16 häufen sich Exemplare aus dem persischen,
syrischen und ägyptischen Raum seit etwa 950.