Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende
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frühesten Traktate in einem Band; deswegen spricht die heutige
Forschung von einem Corpus. Doch sie zerlegt es in zehn bis fünfzehn
Einzelteile und findet es jeweils anders gemischt in den acht Sammel-
handschriften, die aus dem 11. Jahrhundert und dem Raum zwischen
Ebro und Donau übriggeblieben sind.55
Wenn Voraussetzungen und Zielsetzungen des Astrolabs dem
lateinischen Kontinent wesensfremd geblieben wären, dürften wir für
lange Zeit nichts anderes erwarten als solche Bruchstücke, die vom
Zufall der Überlieferung an Land geschwemmt wurden. In der Tat
schätzt der brillanteste Historiker der mittelalterlichen Astronomie alle
Astrolabliteratur zwischen 975 und 1050 so ein: Sie überfiel den Leser
mit einer unverständlichen und unerklärten Terminologie, vergaß auf
der Suche nach dem Sinn des Instruments einmal dieses, dann wieder
jenes zentrale Teil und nutzte von seinen vielfältigen Möglichkeiten
bloß die banalsten. „Wohl bezeugt sie eine verdienstvolle Bemühung
der christlichen Gelehrten um Aneignung der Astrolab-Theorie, und
sie beweist auch eine gewisse Begeisterung für eine so neue Wissen-
schaft; vor allem aber offenbart sie die äußerste Unbeholfenheit
angesichts eines Instruments, das sie aus der Fassung brachte“.56
Anstelle einer weiteren, neunten Buchbindersynthese beschert uns
nun das Fragment ein Kompendium, das dem Benutzer nicht bloß
technische Kniffe verriet, auch wenn es ihm keine klug durchdachte
und schön gestaltete Summa schenkte. Es entfernte sich noch nicht
allzuweit von den ältesten Anleitungen. Wenn sein Autor freilich deren
um 980 ausgebildete Tradition enzyklopädisch zusammenfaßte, ging er
eben damit einen großen Schritt über ihre Intentionen hinaus, auf
Leser zu, die nördlich der Pyrenäen wohnten. Er brachte die lateinische
Astrolabkunde in eine erste, grobschlächtige Fassung.
Enzyklopädische Absicht macht noch kein brauchbares Lehrbuch.
Über seinen Wert entscheidet, ob es präzise Einzelheiten, ohne sie zu
verwischen, in eine stimmige Synthese bringt. Wie weit löste sich der
Autor des Fragments wirklich von der Unbeholfenheit seiner Vorgän-
55 Bahnbrechend war Vyver, Traductions S. 275-284, der den Begriff Corpus
einführte. Neueste Übersichten über die Handschriften bei Kunitzsch, Glossar
S. 466-471, 475A82; Bergmann, Innovationen S. 226-250.
56 So Poulle, Instruments S. 29-33, das Zitat S. 32. Ähnlich Guy Beaujouan,
L’enseignement du ‘Quadrivium’, in: La scuola nell’occidente latino dell’alto
medioevo (Settimane di Studio del Centro Italiano di studi sull’alto medioevo
Spoleto Bd. 19/2, 1972) S. 639-667, hier S. 656-658; Turner, Museum S. 17
f.
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frühesten Traktate in einem Band; deswegen spricht die heutige
Forschung von einem Corpus. Doch sie zerlegt es in zehn bis fünfzehn
Einzelteile und findet es jeweils anders gemischt in den acht Sammel-
handschriften, die aus dem 11. Jahrhundert und dem Raum zwischen
Ebro und Donau übriggeblieben sind.55
Wenn Voraussetzungen und Zielsetzungen des Astrolabs dem
lateinischen Kontinent wesensfremd geblieben wären, dürften wir für
lange Zeit nichts anderes erwarten als solche Bruchstücke, die vom
Zufall der Überlieferung an Land geschwemmt wurden. In der Tat
schätzt der brillanteste Historiker der mittelalterlichen Astronomie alle
Astrolabliteratur zwischen 975 und 1050 so ein: Sie überfiel den Leser
mit einer unverständlichen und unerklärten Terminologie, vergaß auf
der Suche nach dem Sinn des Instruments einmal dieses, dann wieder
jenes zentrale Teil und nutzte von seinen vielfältigen Möglichkeiten
bloß die banalsten. „Wohl bezeugt sie eine verdienstvolle Bemühung
der christlichen Gelehrten um Aneignung der Astrolab-Theorie, und
sie beweist auch eine gewisse Begeisterung für eine so neue Wissen-
schaft; vor allem aber offenbart sie die äußerste Unbeholfenheit
angesichts eines Instruments, das sie aus der Fassung brachte“.56
Anstelle einer weiteren, neunten Buchbindersynthese beschert uns
nun das Fragment ein Kompendium, das dem Benutzer nicht bloß
technische Kniffe verriet, auch wenn es ihm keine klug durchdachte
und schön gestaltete Summa schenkte. Es entfernte sich noch nicht
allzuweit von den ältesten Anleitungen. Wenn sein Autor freilich deren
um 980 ausgebildete Tradition enzyklopädisch zusammenfaßte, ging er
eben damit einen großen Schritt über ihre Intentionen hinaus, auf
Leser zu, die nördlich der Pyrenäen wohnten. Er brachte die lateinische
Astrolabkunde in eine erste, grobschlächtige Fassung.
Enzyklopädische Absicht macht noch kein brauchbares Lehrbuch.
Über seinen Wert entscheidet, ob es präzise Einzelheiten, ohne sie zu
verwischen, in eine stimmige Synthese bringt. Wie weit löste sich der
Autor des Fragments wirklich von der Unbeholfenheit seiner Vorgän-
55 Bahnbrechend war Vyver, Traductions S. 275-284, der den Begriff Corpus
einführte. Neueste Übersichten über die Handschriften bei Kunitzsch, Glossar
S. 466-471, 475A82; Bergmann, Innovationen S. 226-250.
56 So Poulle, Instruments S. 29-33, das Zitat S. 32. Ähnlich Guy Beaujouan,
L’enseignement du ‘Quadrivium’, in: La scuola nell’occidente latino dell’alto
medioevo (Settimane di Studio del Centro Italiano di studi sull’alto medioevo
Spoleto Bd. 19/2, 1972) S. 639-667, hier S. 656-658; Turner, Museum S. 17
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