Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende
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himmlischen Tierkreises durch eigene Anschauung fänden; teils erwar-
tet er ihre Kenntnis noch von karolingischen Illustrationen antiker
Lehrgedichte.59
Viertens; Der Text unseres Schreibers ist noch nicht durch die
Routine der Schreibstuben abgeschliffen, wie sein weitgehender
Verzicht auf Abkürzungen lehrt. Er war weder selbst Fachmann noch
rechnete er mit sachkundigen Lesern. Dergleichen wäre in einer
abgelegenen Landschaft noch lange nach der Jahrtausendwende zu
erwarten. Aber nach Ausweis der Schriftformen entstanden alle
verwandten Codices aus Lothringen, ja sogar der scheinbar ursprüng-
lichste aus Katalonien, erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts, eine
Generation später, als es der Duktus unseres Schreibers zuläßt.60
Die Textgeschichte führt uns somit zu einem etwas anderen Schluß
als die Instrumentengeschichte. Während das im Fragment besproche-
ne Astrolab den ältesten westlichen Typ vertritt und eine Datierung in
die 980er Jahre erlauben würde, baut seine Darstellung bereits auf den
frühesten lateinischen Übersetzungen auf, ist also einige Zeit nach
ihnen entstanden. Literarisch repräsentiert das Fragment nicht die
erste, sondern eine zweite Stufe der Rezeption. Der Autor hat sich also
nicht etwa zunächst in Nordspanien oder gar in Andalusien ein
Astrolab besorgt, sich dort mündlich in die Handhabung einweihen
lassen und erst später Literatur dazu bestellt.
59 Sententie astrolabii, hg. von Millas, Assaig S. 276-279 nannten einzelne
Astrolabsterne, ohne ihr Aussehen zu beschreiben. Gerberts Schüler, De
utilitatibus astrolabii c. 17 S. 136-138 setzte neben jeden Namen die Figur des
Sternbilds. Sie fehlt bei Hermann, De mensura astrolabii c. 6 S. 208 f. Zur
Buchmalerei: Der Leidener Aratus. Antike Sternbilder in einer karolingischen
Handschrift (Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskatalog 49, 1989) S.
4-23.
60 Die Handschrift Barcelona, Archivo General de la Corona de Aragon, Ripoll
225, wurde ins 10. Jahrhundert gesetzt von Rudolf Beer. Die Handschriften des
Klosters Santa Maria de Ripoll I (Sitzungsberichte der Philosophisch-histori-
schen Klasse der Wiener Akademie der Wissenschaften Bd. 155/3, 1908) S.
57-59; Millas, Assaig S. 150-211; Millas, Traducciones S. 93. Zur Datierung ins
11. Jahrhundert rieten Vyver, Traductions S. 275 Anm. 38; Bergmann, Traktat
S. 88 f.; Bergmann, Innovationen S. 67-72, 80-82. Bestätigt wird sie durch
Beaujouan, Apocryphes S. 649 f., 656-658, nach der Expertise von Jean Vezin S.
658: une ecriture, peut-etre catalane, de la premiere moitie ou du milieu du XIe
siede. Der Konstanzer Fund widerlegt zudem die Annahme von Michel, Traite
S. 10, 172; David C. Lindberg, The Transmission of Greek and Arabic Learning
to the West, in: Lindberg, Science S. 52-90, hier S. 61; Turner, Museum S. 17,
daß sich in Hermanns Werken die Tradition von Ripoll direkt spiegle.
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himmlischen Tierkreises durch eigene Anschauung fänden; teils erwar-
tet er ihre Kenntnis noch von karolingischen Illustrationen antiker
Lehrgedichte.59
Viertens; Der Text unseres Schreibers ist noch nicht durch die
Routine der Schreibstuben abgeschliffen, wie sein weitgehender
Verzicht auf Abkürzungen lehrt. Er war weder selbst Fachmann noch
rechnete er mit sachkundigen Lesern. Dergleichen wäre in einer
abgelegenen Landschaft noch lange nach der Jahrtausendwende zu
erwarten. Aber nach Ausweis der Schriftformen entstanden alle
verwandten Codices aus Lothringen, ja sogar der scheinbar ursprüng-
lichste aus Katalonien, erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts, eine
Generation später, als es der Duktus unseres Schreibers zuläßt.60
Die Textgeschichte führt uns somit zu einem etwas anderen Schluß
als die Instrumentengeschichte. Während das im Fragment besproche-
ne Astrolab den ältesten westlichen Typ vertritt und eine Datierung in
die 980er Jahre erlauben würde, baut seine Darstellung bereits auf den
frühesten lateinischen Übersetzungen auf, ist also einige Zeit nach
ihnen entstanden. Literarisch repräsentiert das Fragment nicht die
erste, sondern eine zweite Stufe der Rezeption. Der Autor hat sich also
nicht etwa zunächst in Nordspanien oder gar in Andalusien ein
Astrolab besorgt, sich dort mündlich in die Handhabung einweihen
lassen und erst später Literatur dazu bestellt.
59 Sententie astrolabii, hg. von Millas, Assaig S. 276-279 nannten einzelne
Astrolabsterne, ohne ihr Aussehen zu beschreiben. Gerberts Schüler, De
utilitatibus astrolabii c. 17 S. 136-138 setzte neben jeden Namen die Figur des
Sternbilds. Sie fehlt bei Hermann, De mensura astrolabii c. 6 S. 208 f. Zur
Buchmalerei: Der Leidener Aratus. Antike Sternbilder in einer karolingischen
Handschrift (Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskatalog 49, 1989) S.
4-23.
60 Die Handschrift Barcelona, Archivo General de la Corona de Aragon, Ripoll
225, wurde ins 10. Jahrhundert gesetzt von Rudolf Beer. Die Handschriften des
Klosters Santa Maria de Ripoll I (Sitzungsberichte der Philosophisch-histori-
schen Klasse der Wiener Akademie der Wissenschaften Bd. 155/3, 1908) S.
57-59; Millas, Assaig S. 150-211; Millas, Traducciones S. 93. Zur Datierung ins
11. Jahrhundert rieten Vyver, Traductions S. 275 Anm. 38; Bergmann, Traktat
S. 88 f.; Bergmann, Innovationen S. 67-72, 80-82. Bestätigt wird sie durch
Beaujouan, Apocryphes S. 649 f., 656-658, nach der Expertise von Jean Vezin S.
658: une ecriture, peut-etre catalane, de la premiere moitie ou du milieu du XIe
siede. Der Konstanzer Fund widerlegt zudem die Annahme von Michel, Traite
S. 10, 172; David C. Lindberg, The Transmission of Greek and Arabic Learning
to the West, in: Lindberg, Science S. 52-90, hier S. 61; Turner, Museum S. 17,
daß sich in Hermanns Werken die Tradition von Ripoll direkt spiegle.