Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende
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den Konvent aufgenommen und sein gelehrtes Lebenswerk unermüd-
lich gefördert hatte, auch seine Studien zum Astrolab. Doch ein
unverdächtiger Zeuge bestätigt Hermanns Einschätzung, der Dom-
schulmeister Meinzo von Konstanz. Dessen Vorgesetzter, der Kon-
stanzer Bischof Warmann, hatte 1032 die geistliche Würde des Abtes
Bern schwer gekränkt.87 Aber als es um die Berechnung des Erdum-
fangs nach Eratosthenes und Macrobius ging, schrieb Meinzo
geschmeichelt an Hermann, bei ihrer kürzlichen Diskussion um die
schwierigsten Fragen der Mathematik und Naturkunde habe sich auch
der Reichenauer Abt beteiligt, heutzutage die größte Autorität in
diesen Bereichen.88
Kein Zweifel, Abt Bern von Reichenau ist der Mittelsmann, den wir
suchen. Er konnte dem Schreiber unseres Fragments kurz nach 1008
befehlen, das Lehrbuch vom Astrolab sorgsam zu kopieren. Aber wo
hatte Bern seine fromme Wissenschaft gelernt und das Lehrbuch für die
Reichenau aufgespürt? Gewiß nicht in seiner Heimatabtei Prüm. Dort
war er allenfalls zur Nachahmung der lokalen Vorbilder Wandalbert
und Regino angeleitet worden. Sie hatten auf karolingische Art
liturgische mit ökonomischer, natürliche mit geschichtlicher Zeit
versöhnen wollen. Doch um die erbauliche Absicht konstruktiv zu
verwirklichen, brauchte Bern mehr mathematische Kompetenz, als
Prüm je aufzubieten vermochte.89
Wo sonst nutzten Benediktiner kurz vor 1000 ihre kostbare Gegen-
wart zum Bund zwischen Frömmigkeit und Wissenschaft?
87 Hermann, Chronicon a. 1032 S. 121 Konflikt mit Warmann. Daß Bern dabei
ältere Positionen verteidigte, zeigt Helmut Maurer, Rechtlicher Anspruch und
geistliche Würde der Abtei Reichenau unter Kaiser Otto III., in: Maurer,
Reichenau S. 255-275.
88 Ernst Dümmler, Ein Schreiben Meinzos von Constanz an Hermann den
Lahmen, NA 5 (1880) S. 202-206, hier S. 202: in presentia Augensis abbatis, qui
maxime nunc temporis in quadruvio viget auctoritatis. Zum Kontext Vyver,
Traductions S. 270 f.; Borst, Forschungsbericht S. 396 Anm. 31. Siehe unten
Anm. 149.
89 Dazu Wolfgang Haubrichs, Die Kultur der Abtei Prüm zur Karolingerzeit.
Studien zur Heimat des altdeutschen Georgslieds (1979) S. 54-96; Borst,
Computus S. 22, 25.
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den Konvent aufgenommen und sein gelehrtes Lebenswerk unermüd-
lich gefördert hatte, auch seine Studien zum Astrolab. Doch ein
unverdächtiger Zeuge bestätigt Hermanns Einschätzung, der Dom-
schulmeister Meinzo von Konstanz. Dessen Vorgesetzter, der Kon-
stanzer Bischof Warmann, hatte 1032 die geistliche Würde des Abtes
Bern schwer gekränkt.87 Aber als es um die Berechnung des Erdum-
fangs nach Eratosthenes und Macrobius ging, schrieb Meinzo
geschmeichelt an Hermann, bei ihrer kürzlichen Diskussion um die
schwierigsten Fragen der Mathematik und Naturkunde habe sich auch
der Reichenauer Abt beteiligt, heutzutage die größte Autorität in
diesen Bereichen.88
Kein Zweifel, Abt Bern von Reichenau ist der Mittelsmann, den wir
suchen. Er konnte dem Schreiber unseres Fragments kurz nach 1008
befehlen, das Lehrbuch vom Astrolab sorgsam zu kopieren. Aber wo
hatte Bern seine fromme Wissenschaft gelernt und das Lehrbuch für die
Reichenau aufgespürt? Gewiß nicht in seiner Heimatabtei Prüm. Dort
war er allenfalls zur Nachahmung der lokalen Vorbilder Wandalbert
und Regino angeleitet worden. Sie hatten auf karolingische Art
liturgische mit ökonomischer, natürliche mit geschichtlicher Zeit
versöhnen wollen. Doch um die erbauliche Absicht konstruktiv zu
verwirklichen, brauchte Bern mehr mathematische Kompetenz, als
Prüm je aufzubieten vermochte.89
Wo sonst nutzten Benediktiner kurz vor 1000 ihre kostbare Gegen-
wart zum Bund zwischen Frömmigkeit und Wissenschaft?
87 Hermann, Chronicon a. 1032 S. 121 Konflikt mit Warmann. Daß Bern dabei
ältere Positionen verteidigte, zeigt Helmut Maurer, Rechtlicher Anspruch und
geistliche Würde der Abtei Reichenau unter Kaiser Otto III., in: Maurer,
Reichenau S. 255-275.
88 Ernst Dümmler, Ein Schreiben Meinzos von Constanz an Hermann den
Lahmen, NA 5 (1880) S. 202-206, hier S. 202: in presentia Augensis abbatis, qui
maxime nunc temporis in quadruvio viget auctoritatis. Zum Kontext Vyver,
Traductions S. 270 f.; Borst, Forschungsbericht S. 396 Anm. 31. Siehe unten
Anm. 149.
89 Dazu Wolfgang Haubrichs, Die Kultur der Abtei Prüm zur Karolingerzeit.
Studien zur Heimat des altdeutschen Georgslieds (1979) S. 54-96; Borst,
Computus S. 22, 25.