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Arno Borst
Außerdem ließ sich Abbo, wieder ernsthafter als Gerbert, von den
astrologischen Schriften der Muslime herausfordern, die seit etwa 980
in grober lateinischer Fassung, mit arabischen Sternnamen durchsetzt,
aus Katalonien herüberkamen, so wie zur selben Zeit die ersten
Astrolab-Traktate. Weil die Sterndeutungen zusammen mit Abbos
eigenen astronomischen Studien weitergereicht wurden, warf man ihm
alsbald vor, er pflege magische Künste. Doch sie versperrten erst recht
den Blick auf das Lebenswichtige, wenn die dramatischen Begegnun-
gen der Planeten lediglich anzeigten, wie der einzelne Mensch einen
Dieb finden und seine Habe vermehren kann, wann er eine Reise
antreten oder einen Besuch empfangen soll, ob diese oder jene
Krankheit für ihn tödlich ausgehen wird. Als ob sich der gesamte
Kosmos um den Egoismus des Individuums drehte!* * * 105
Wenn sich Mönche Rechenschaft gaben von dem, was sie vorder-
hand gemeinsam anpackten, durften sie den hergebrachten Schlen-
drian von Zeitgefühl und Geschichtsdeutung nicht länger dulden. Für
die Bekehrung der Gegenwart kam es auf Jahr und Tag und Stunde an,
unabhängig davon, wie lange die Welt im ganzen noch existieren
würde. Jetzt entschied sich alles für die Lebenden, nicht alles für
immer. Wie es Abbo bei wiederholter Lektüre der aristotelischen
Logik erging, so verlief die Erkenntnis der Welt: Jede neuerliche
Bemühung um Verständnis erweiterte den anfangs beengten Gesichts-
kreis, führte aber nicht zu dem einen Gipfel empor, auf dem das Ganze
zu überschauen wäre. Die Lebenden müßten demnach die Ansichten
der Früheren nicht verwerfen, sie sollten bloß ihre eigene Wahl
umsichtig treffen, dann könnten sie das Urteil darüber ruhig den
Einsichten der Späteren überlassen.106
Weltuntergang im Jahre 1000, Archiv für Kulturgeschichte 35 (1953) S. 123-141,
hier S. 131-133; Georges Duby, Die drei Ordnungen. Das Weltbild des
Feudalismus (1981) S. 132-140; Mostert, Abbo S. 87 f.
105 Abbo, Liber Apologeticus, in: Opera Sp. 468. Der Vorwurf der Magie war
gezielter, als Heinrich Fichtenau, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts.
Studien über Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreich, Bd. 2 (1984) S.
423 glaubt. Zu den Handschriften zuletzt Bernhard Bischoff, Bearbeitung eines
arabischen Lehrbuches der Astrologie (vor 1034), in: Derselbe, Anecdota
novissima. Texte des vierten bis sechzehnten Jahrhunderts (1984) S.
183-191.
106 Syllogismorum categoricorum et hypotheticorum enodatio, hg. von Andre van
de Vyver und R. Raes, Abbonis Floriacensis opera inedita, Bd. 1 (1966) S. 31
Aristoteles; Brief an zwei Mönche von Fleury 1003, hg. von Cordoliani, Abbon
S. 480 Wahl der Lebenden.
Arno Borst
Außerdem ließ sich Abbo, wieder ernsthafter als Gerbert, von den
astrologischen Schriften der Muslime herausfordern, die seit etwa 980
in grober lateinischer Fassung, mit arabischen Sternnamen durchsetzt,
aus Katalonien herüberkamen, so wie zur selben Zeit die ersten
Astrolab-Traktate. Weil die Sterndeutungen zusammen mit Abbos
eigenen astronomischen Studien weitergereicht wurden, warf man ihm
alsbald vor, er pflege magische Künste. Doch sie versperrten erst recht
den Blick auf das Lebenswichtige, wenn die dramatischen Begegnun-
gen der Planeten lediglich anzeigten, wie der einzelne Mensch einen
Dieb finden und seine Habe vermehren kann, wann er eine Reise
antreten oder einen Besuch empfangen soll, ob diese oder jene
Krankheit für ihn tödlich ausgehen wird. Als ob sich der gesamte
Kosmos um den Egoismus des Individuums drehte!* * * 105
Wenn sich Mönche Rechenschaft gaben von dem, was sie vorder-
hand gemeinsam anpackten, durften sie den hergebrachten Schlen-
drian von Zeitgefühl und Geschichtsdeutung nicht länger dulden. Für
die Bekehrung der Gegenwart kam es auf Jahr und Tag und Stunde an,
unabhängig davon, wie lange die Welt im ganzen noch existieren
würde. Jetzt entschied sich alles für die Lebenden, nicht alles für
immer. Wie es Abbo bei wiederholter Lektüre der aristotelischen
Logik erging, so verlief die Erkenntnis der Welt: Jede neuerliche
Bemühung um Verständnis erweiterte den anfangs beengten Gesichts-
kreis, führte aber nicht zu dem einen Gipfel empor, auf dem das Ganze
zu überschauen wäre. Die Lebenden müßten demnach die Ansichten
der Früheren nicht verwerfen, sie sollten bloß ihre eigene Wahl
umsichtig treffen, dann könnten sie das Urteil darüber ruhig den
Einsichten der Späteren überlassen.106
Weltuntergang im Jahre 1000, Archiv für Kulturgeschichte 35 (1953) S. 123-141,
hier S. 131-133; Georges Duby, Die drei Ordnungen. Das Weltbild des
Feudalismus (1981) S. 132-140; Mostert, Abbo S. 87 f.
105 Abbo, Liber Apologeticus, in: Opera Sp. 468. Der Vorwurf der Magie war
gezielter, als Heinrich Fichtenau, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts.
Studien über Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreich, Bd. 2 (1984) S.
423 glaubt. Zu den Handschriften zuletzt Bernhard Bischoff, Bearbeitung eines
arabischen Lehrbuches der Astrologie (vor 1034), in: Derselbe, Anecdota
novissima. Texte des vierten bis sechzehnten Jahrhunderts (1984) S.
183-191.
106 Syllogismorum categoricorum et hypotheticorum enodatio, hg. von Andre van
de Vyver und R. Raes, Abbonis Floriacensis opera inedita, Bd. 1 (1966) S. 31
Aristoteles; Brief an zwei Mönche von Fleury 1003, hg. von Cordoliani, Abbon
S. 480 Wahl der Lebenden.