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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0078
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Arno Borst

Richtlinien alle vergangene, gegenwärtige und zukünftige Geschichts-
zeit gestalten. Einstmals bei Christi Geburt sei ein Stern erschienen, bei
seiner Kreuzigung habe sich die Sonne verfinstert. Nach Sonne, Mond
und Sternen müsse sich richten, wer heutzutage Osterfest und Stun-
dengebet zur rechten Zeit begehen wolle. Zeichen am Himmel würden
dem Aufmerksamen das kommende Weitende beizeiten ansagen.
Die Himmelskörper senden uns Gottes Signale; wir müssen sie nur
zu deuten wissen. Abraham wußte es und brachte Arithmetik und
Astronomie zu den Ägyptern. Ptolemaios wußte es auch und erfand das
Astrolab zum Nutzen aller astronomischen und geometrischen Stu-
dien. Wir Christen haben die Weisheit der Alten vergessen; Gott bringt
sie uns durch die Araber wieder bei (und wir Katalanen vermitteln sie
euch Franzosen). In der „heiligen Kirche“ müssen wir das Nötige
unverzüglich tun, sogar mitten in der Nacht. Während die Faulenzer
schlummern und die Bestien wüten, erforschen die Wachsamen und
Klugen den feierlichen Zug der Gestirne, den harmonischen Wandel
der Gezeiten und die verschlüsselten Weisungen Gottes. Wissenschaft
als Frömmigkeit, Zeitbewußtsein als Kirchenreform.118
Daß sich der dringliche Aufruf nicht der Zwangsläufigkeit des
Weltuntergangs ergab, gefiel vermutlich sogar dem strengen Abbo;
denn von Fleury, nicht von Katalonien oder Lothringen aus verbreitete
sich der Prolog durch Europa.119 Der Appell des Katalanen forderte
wahrscheinlich auch die Gesamtdarstellung heraus, nach deren
Ursprung wir suchen. Hier ist ihr Beweggrund formuliert, und ich

118 Lupitus, Prolog S. 271-275, hier S. 273 f. Zu diesem Text (I nach Millas und
Kunitzsch) Kunitzsch, Glossar S. 476; Bergmann, Innovationen S. 122 f.
Erledigt hat sich die Annahme von Ernst Dümmler, Eine Vorrede Eiermanns
des Lahmen, Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit Neue Folge 16 (1869) S.
135-139; Manitius, Literatur Bd. 2 S. 763 f., daß Hermann den Prolog verfaßt
habe. Vyver, Traductions S. 273-275 hat geklärt, daß er schon auf Gerberts
Schüler, De utilitatibus astrolabii c. 1 S. 114-117 einwirkte. Aber Thorndike,
History Bd. 1 S. 698-704; Destombes, Astrolabe S. 23 f.; Poulle, Astronomie S.
615 f. gehen fehl, wenn sie Gerbert selbst die Autorschaft des Prologs zutrauen.
Er bekannte sich nicht zu den dort verkündeten religiösen Konsequenzen, sein
Schüler nur flüchtig: c. 5 § 4 S. 129 f. Ich bleibe bei der von Bubnov, Gerbert S.
370 Anm. 1; Millas, Assaig S. 187 f. begründeten, oben Anm. 43 erhärteten
Zuweisung an Lupitus. Zur Datierung oben Anm. 74.
119 Drei der vier Handschriften des Prologs, Codex Reginensis latinus 1661 der
Vaticana und die Münchner Codices latini 560 und 14689, gehen direkt oder
indirekt auf Fleury zurück. Dazu Bergmann, Innovationen S. 86 f., der Fleury
nach Lothringen versetzt.
 
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